Wer Wind sät
idyllischen Lage. Nach dem wolkenverhangenen Tag war der Himmel plötzlich aufgerissen und präsentierte sich in einer atemberaubenden Palette von Zartrosa bis Purpurrot. Die sinkende Sonne übergoss die Gebäude mit einem mattgoldenen Schimmer, Schwalben schossen auf der Jagd nach Insekten durch die milde, von Feuchtigkeit gesättigte Luft. Wie musste es sein, hier zu leben? Die Stille war unglaublich, besonders für Pia, die seit Jahren neben einer der meistbefahrenen Autobahnen Deutschlands wohnte.
Sie betrat den Hof und blickte sich erstaunt um. Niemand zu sehen. Wo waren denn die Kollegen? Verärgert kramte sie ihr Handy aus der Jackentasche und wählte Krögers Nummer. Dem würde sie was erzählen! Was fiel ihm ein, sie hierher zu lotsen und dann selbst schon in den Feierabend zu entschwinden? In der Ferne hörte sie Handyklingeln, im nächsten Moment bog ihr Kollege um die Ecke.
»Hey«, sagte er.
»Was ist denn hier los?«, erwiderte Pia und klappte ihr Handy zu.
»Ich hab meine Jungs schon losgeschickt, damit die Blutproben gleich ins Labor kommen.« Christian Kröger zuckte die Achseln. »Ich dachte, du kannst mich später mit nach Hofheim nehmen.«
»Ach so. Ja, klar. Kann ich machen.« Pia schluckte ihren Ãrger herunter und machte sich bewusst, dass die Kollegen einen ebenso langen Arbeitstag hinter sich hatten wie sie selbst. »Was habt ihr hier gefunden?«
»Einiges. Komm mit.«
Sie folgte Kröger den Trampelpfad über die Wiese zum Haus. Die Sonne war hinter den Bergen verschwunden, es wurde schlagartig kühl. Fledermäuse huschten durch die violettblaue Dämmerung. Sie betraten das Haus durch die Haustür und gingen die Treppe hoch.
»Jemand war in diesem Zimmer«, sagte Kröger, als sie in dem kleinen, holzverkleideten Raum standen. »Dort, an dem Wandschrank, sind frische Fingerabdrücke im Staub.«
Er öffnete die Schranktür.
»Die Wäsche im obersten Fach wurde herausgezogen und wieder hineingestopft. Derjenige hat in dem Schrank etwas gesucht.«
Pia nickte. Frauke Hirtreiter musste ihren Brüdern zuvorgekommen sein. Genauso unverfroren wie die beiden hatte sie die Versiegelung missachtet und war durch den Hintereingang ins Haus eingedrungen. Sie hatte allerdings nicht planlos die Schränke durchwühlt, sondern offenbar gewusst, wo sie suchen musste. Aber wonach?
Auf der Treppe war sie der Spurenlage nach zu Fall gekommen, dabei hatte sie das morsche Geländer durchbrochen, war mit dem Kopf gegen den Türrahmen geprallt und hatte sich verletzt.
»Danach«, dozierte Kröger, »hat die Person â es handelte sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Frau, was lange, dunkle Haare in dem Blut am Türrahmen vermuten lassen â das Schlafzimmer betreten. Das wiederum lässt sich aus den Blutstropfen auf dem Boden und dem Bett schlieÃen. Und hier hat sie eine geschnitzte Madonnenstatue mitgenommen.«
»Wie kommst du denn darauf?«, fragte Pia verdutzt.
»Wartâs ab.« Kröger lächelte geheimnisvoll. »Danach muss es einen heftigen Kampf gegeben haben. Die Vogelfedern hingen sogar an der Deckenlampe, kleine, flaumige Federn, nicht nur groÃe. Es ging wohl richtig zur Sache.« Er deutete hoch an die Decke des Flurs. »Da sind Blutspritzer an der Wand, überall. Ich vermute, es ist Tierblut, aber das muss ein Antihumanglobulintest im Labor erst beweisen.«
Pia wurde langsam ungeduldig, aber sie wollte Kröger nicht auf die FüÃe treten. Er war ein Meister in der Rekonstruktion von Tathergängen und hungerte wie viele seiner Berufskollegen nach Lob für seine akribische Arbeit, die seiner Meinung nach viel zu gering geschätzt wurde. Wurde ein komplizierter Fall gelöst, strich das K 11 in der Ãffentlichkeit die Meriten ein, die Kriminaltechnik ging leer aus.
»Der Hauptbeweis dafür, dass der Kampf mit dem Vogel erst nach dem Treppensturz stattgefunden hat, ist aber das hier â¦Â« Kröger verlieà das Haus auf demselben Weg, den sie gekommen waren, blieb neben der Tür stehen und wies auf die Regentonne. Pia warf einen Blick hinein.
»Wo ist dein Hauptbeweis?«, fragte sie ratlos. »Ich sehe nichts.«
»Auf dem Weg ins Labor natürlich«, entgegnete er. »In dieser Regentonne lagen ein toter Rabe und die Holzmadonna, die etwa zwei Kilo wiegt. Die Täterin hat den Raben erst
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