Wer Wind sät
Ihre Augen, die von einer so ungewöhnlichen Farbe und Intensität waren, wie er es nur selten gesehen hatte? Die Art, wie sie beim Zuhören den Kopf schief legte? Ihr Lächeln, scheu und fast ein wenig bewundernd? Nicht ein einziges Mal glitt ihr Blick an ihm vorbei, das hatte er noch nie erlebt. Dabei entsprach Nika überhaupt nicht dem Frauentyp, den er sein Leben lang bevorzugt hatte, sie war eigentlich das genaue Gegenteil: zart, mädchenhaft, schüchtern. Das ausgeprägte Selbstbewusstsein, das ihm an Cosima, Nicola, Inka oder Heidi gefallen hatte, fehlte ihr völlig.
Er vergaà Frauke Hirtreiter, Pia und seine Arbeit und kehrte erst in die Realität zurück, als das Ladenpersonal sie höflich, aber bestimmt zum Gehen aufforderte.
»Ich habe gar nicht gemerkt, wie spät es schon ist«, sagte Nika und lächelte verlegen. Sie standen in der FuÃgängerzone, und der Moment des Abschiednehmens rückte unbarmherzig näher. »Sie ⦠Sie haben doch sicher etwas anderes zu tun, als mit mir Kaffee zu trinken.«
Etwas anderes hatte er todsicher zu tun, aber nichts, was ihm wichtiger gewesen wäre. Die Arbeit, die immer allerhöchste Priorität für ihn gehabt hatte, durfte heute mal warten. In den letzten zwei Stunden hatte sein Handy sicherlich zehn Mal vibriert, aber er hatte es nicht beachtet und sein schlechtes Gewissen erfolgreich verdrängt.
»Ich habe ja glücklicherweise Kollegen«, entgegnete Bodenstein leichthin. »Wenn Sie möchten, kann ich Sie nach Hause fahren.«
»Das wäre prima.« Nika lächelte kurz. »Aber ⦠ich müsste eigentlich vorher noch in den Supermarkt, der Kühlschrank ist leer.«
»Gute Idee. Einkaufen müsste ich auch mal wieder.« Bodenstein grinste. »Also? Worauf warten wir noch?«
*
Die Spurensicherung auf dem Rabenhof war aufwendiger gewesen als vermutet. Christian Kröger hatte angerufen, während Pia mitten in der Vernehmung von Gregor Hirtreiter steckte, und sie gebeten, nach Ehlhalten zu kommen. Da die Beweislage gegen die Brüder Hirtreiter dünner war als ein Blatt Pergamentpapier, hatte Pia ohnehin keinen der beiden länger festhalten können.
Bodenstein ging nicht ans Telefon, Kathrin hatte einen Zahnarzttermin, und Cem war auf die Geburtstagsfeier seiner Frau entschwunden. Nur nach ihr und ihrem Privatleben, dachte Pia wütend, fragte mal wieder niemand.
Henning und Miriam hatten sich nicht mehr gemeldet, wahrscheinlich ein gutes Zeichen, aber ihr Verhalten war trotzdem unmöglich. Hatten sie Probleme, störten sie ungeniert zu jeder Tages- und Nachtzeit, um ihr die Ohren vollzujammern, war alles gut, herrschte Funkstille.
Und Bodenstein war wirklich eigenartig drauf. Als sie ihn vor vier Jahren kennengelernt hatte, war er höflich, reserviert und unerschütterlich gewesen, jetzt war er höflich, reserviert und mit dem Kopf völlig woanders. Seit Cosimas Affäre und dem Zerbrechen seiner Ehe hatte er sich vollkommen verändert. Immer häufiger überlieà er Pia die Verantwortung für die ganze Abteilung und erlaubte sich Fehler, die ihm früher niemals unterlaufen wären. Pia war klar, dass er nicht wegen Frauke Hirtreiter in den Zooladen nach Königstein gefahren war, sondern einzig und allein wegen dieser blonden Tussi, die sich ihr und Cem gegenüber als Putzfrau ausgegeben hatte. Irgendetwas lief da zwischen ihr und Bodenstein. Pia erinnerte sich, wie die beiden nebeneinandergesessen und sich angeguckt hatten. Als sie vorgeschlagen hatte, mit Hilfe der Frau mehr über Theodorakis und seine Freundin zu erfahren, hatte er gezögert. Zwar konnte Pia nicht nachvollziehen, was ihr Chef an dieser grauen Maus finden mochte, aber vielleicht brauchte er nach Cosima genau so jemanden, um sein Selbstbewusstsein etwas aufzumöbeln.
Pia seufzte und drückte auf die Wiederwahltaste. Wieder meldete sich nur Bodensteins Mailbox. Zur Abwechslung rief sie Christoph an, mit demselben Ergebnis. Auch er war temporarily not availabe . Zur Hölle mit den Kerlen. Hoffentlich hatte Kröger wenigstens etwas wirklich Wichtiges gefunden, sonst würde sie ausrasten. Sie hatte wahrhaftig Besseres zu tun, als abends um halb acht noch in dienstlichen Angelegenheiten durch die Gegend zu fahren.
Eine Viertelstunde später hatte sie den Rabenhof erreicht und war aufs Neue beeindruckt von der Schönheit des Hofes und seiner
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