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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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von hinten und bettelte ihn an, nicht mehr böse auf sie zu sein. Es war grauenvoll, sie so demütig und geduckt zu sehen!
    Â»Lass das«, sagte Jannis ungehalten und drehte sich zu ihr um. »Ich will das jetzt nicht … verdammt! Was soll das?«
    Mark beobachtete fassungslos, wie Ricky nun vor Jannis in die Knie ging. Das Herz hämmerte in seiner Brust, ihm wurde abwechselnd heiß und kalt. Spätestens jetzt hätte er verschwinden sollen, doch er konnte nicht. Irgendeine geheimnisvolle Macht lähmte ihn, zwang ihn, hinter der großen Zeder stehen zu bleiben und auf die Terrasse zu starren wie ein lüsterner Spanner. Er vergaß beinahe zu atmen, seine Finger gruben sich in die borkige, klebrige Rinde des Nadelbaums. Jannis legte die Fleischgabel weg und drängte Ricky wortlos zur Gartenliege. Abgestoßen und fasziniert zugleich sah Mark zu, wie sie sich paarten, wie Tiere – schwitzend und stumm und ohne jede Zärtlichkeit, während die Steaks auf dem Grill verbrannten. Ein brutales Bild, das ihm jede Illusion von Liebe und Romantik raubte. Er hasste sich dafür, dass er sich das anschaute und dabei auch noch scharf wurde. Er hasste Jannis, weil er sich so primitiv und widerlich benahm, und er hasste Ricky, weil sie ihn belogen und über ihr wahres Wesen getäuscht hatte. Eine billige Hure war sie, die sich beschimpfen und erniedrigen ließ. Wilder Schmerz wühlte in seinem Kopf und ließ seine Augen tränen.
    Â»O Gott, o Gott, ich liebe dich!«, stieß Ricky in diesem Moment hervor. Wie konnte sie das zu einem Mann sagen, der sie zehn Minuten zuvor noch als dumme Kuh bezeichnet hatte? Mark hielt es nicht länger aus. Er drehte sich um und rannte los, als ob der Teufel persönlich hinter ihm her sei. Heiße Tränen strömten über sein Gesicht. Nie, nie wieder würde er einem von ihnen in die Augen blicken können, ohne daran zu denken und sich für sie zu schämen! Verraten hatten sie ihn, belogen und getäuscht. Genau wie alle anderen.
    *
    Die Nachbarin von Frauke Hirtreiter, die auch ihre Vermieterin war, besaß einen Schlüssel für die Wohnung, daher konnten Pia und Christian Kröger sich einen Einbruch sparen. Zwar war ihr Eindringen ohne Durchsuchungsbeschluss nicht ganz legal, aber einer möglichen Beschwerde würde Pia mit der Begründung Gefahr im Verzug begegnen, das funktionierte immer. Sie war mittlerweile richtig wütend auf Bodenstein, der nach wie vor nicht an sein verdammtes Telefon ging. Seit halb fünf war er einfach abgetaucht, ähnlich wie Christoph, der sich unter keiner Telefonnummer meldete, weder auf dem Handy noch im Büro oder zu Hause auf dem Festnetz. Falls das eine billige Retourkutsche für den Mittwochabend war, dann konnte er was erleben!
    Â»Wann haben Sie Frau Hirtreiter das letzte Mal gesehen?« Pia steckte ihren Ausweis wieder ein, nachdem die Nachbarin, eine verhutzelte Person in den Siebzigern mit einem schneeweißen Bubikopf und einer kolossalen Knoblauchfahne, ihn sorgfältig geprüft hatte.
    Â»Gestern gegen sechs. Die Frau Franzen hatte den Laden früher zugemacht, weil sie doch auf diese Versammlung wollte – schrecklich, was da passiert ist, nicht wahr?«
    Â»Ja, ganz furchtbar«, bestätigte Pia und bezwang ihre Ungeduld.
    Â»Ich krieg hier alles mit. Das Haus gehört ja mir, und seitdem die jungen Leute unten das Zoogeschäft haben, ist wieder Leben im Haus.« Die Nachbarin lächelte, ihre Augen blitzten. »Mein Mann ist seit fünfzehn Jahren tot. Früher war der Laden unten unser Elektrogeschäft, aber das musste ich dann ja schließen.«
    Die Lebensgeschichte der Frau interessierte Pia um zehn Uhr abends nicht im Geringsten, aber gerade einsame ältere Leute genossen es, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, wenn auch nur kurz.
    Â»Die Frauke kam, kurz nachdem Frau Franzen weggefahren ist. Sie ging gleich in ihre Wohnung. Ich wollte ihr mein Beileid aussprechen – Frau Franzen hatte mir erzählt, was passiert ist –, deshalb habe ich geklingelt.«
    Die Nachbarin reckte misstrauisch den Hals, um zu beobachten, was Kröger in der Wohnung tat.
    Â»Was für einen Eindruck hat Frau Hirtreiter auf Sie gemacht?«
    Â»Eindruck?«
    Â»War sie traurig? Schockiert?«
    Â»Nein.« Die Nachbarin schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Ich war auch ein bisschen erstaunt, wo

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