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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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glücklichen Satz.
    Â»Nika! Das ist ja eine Überraschung«, sagte er, doch dann bemerkte er ihren Zustand, und seine Freude verwandelte sich in Besorgnis. »Ist etwas passiert?«
    Sie war bis auf die Haut durchnässt, das Haar klebte an ihrem Kopf. Neben ihren Füßen stand eine lederne Reisetasche.
    Â»Entschuldigen Sie, dass ich so spät noch störe«, flüsterte sie. »Ich … ich … wusste nicht, wohin ich gehen sollte …«
    Bodensteins Vater erschien im Flur und kam näher.
    Â»Nika!«, rief er und stellte dieselbe Frage wie zuvor sein Sohn. »Was ist denn passiert?«
    Â»Ich … ich musste bei Jannis und Ricky weg«, erklärte Nika, ihre Stimme schwankte. »Ich bin von Schneidhain hierher gelaufen, weil ich nicht wusste, wohin ich …«
    Sie verstummte, zuckte die Schultern und kämpfte mit den Tränen.
    Heinrich von Bodenstein half ihr, die nasse Jacke auszuziehen, dann führte er sie in die Küche. Sie zitterte am ganzen Körper. Stand sie unter Schock? Bei ihrem jämmerlichen Anblick erwachten bei Bodensteins Mutter die Lebensgeister. Sie erhob sich und zog einen Stuhl heran.
    Â»Komm, setz dich her«, sagte sie. »Warte, ich hol dir ein Handtuch und einen trockenen Pullover. Und etwas zum Aufwärmen.«
    Erleichtert, nicht länger zur Untätigkeit verdammt auf einen Killer warten zu müssen, verließ sie die Küche. Bodenstein betrachtete die Frau, die stocksteif und totenbleich auf dem Stuhl saß, die Arme um den Oberkörper geschlungen, und verspürte tiefe Sorge. Der Schrecken war ihr deutlich anzusehen, ihr Blick war verzweifelt. Was war geschehen? Weshalb kam sie mitten in der Nacht durch den dunklen Wald und das heftige Gewitter zu Fuß hierher? Er dachte daran, wie sie gestern Abend mit ihm geredet und gelacht hatte. Es fiel ihm schwer, jene Nika mit dem Häufchen Elend in Verbindung zu bringen, das jetzt in der Küche seiner Eltern saß. Der Vater holte eine Decke, seine Mutter kehrte mit einem Handtuch und einem Glas Cognac zurück, das sie Nika fürsorglich in die Hand drückte.
    Â»Na, da hat der Malteser-Orden wieder ein neues Opfer gefunden«, bemerkte Quentin sarkastisch. Er klopfte Bodenstein auf die Schulter. »Wir gehen rüber. Ich verlass mich drauf, dass du das hinkriegst, Bruderherz.«
    Â»Ja, gib dir Mühe«, raunte auch seine Schwägerin und zwinkerte ihm zu. »Mit dem Geld könnte ich endlich das Hotel ausbauen.«
    Typisch Marie-Louise. Ihr zweiter Vorname war Geschäftstüchtigkeit. Bodenstein hob nur die Augenbrauen und sagte nichts. Er wartete, bis Bruder und Schwägerin gegangen waren, dann setzte er sich Nika gegenüber an den Küchentisch. Sie hielt das Glas mit beiden Händen umklammert und schauderte, als ein feuchtkühler Windstoß durch die Gardinen wirbelte. Die Kerzen flackerten unruhig im Luftzug.
    Â»Soll ich das Fenster zumachen?«, fragte Bodenstein.
    Sie schüttelte stumm den Kopf. Er betrachtete ihr Gesicht. Jung und verletzlich sah sie aus, und es rührte ihn, dass sie in ihrer offenkundigen Not zu ihm gekommen war. Sie vertraute ihm. Er sah zu, wie sie zitternd das Glas an die Lippen hob. Sie trank einen Schluck Cognac, verzog kurz den Mund. Ihr Blick irrte hin und her, der Schock wich, wenn auch nur langsam.
    Â»Besser?«, erkundigte er sich leise. Ihre Augen suchten seine, saugten sich an ihnen fest.
    Die Standuhr im Flur schlug die halbe Stunde.
    Â»Wollen Sie mir erzählen, was passiert ist?«, fragte Bodenstein teilnahmsvoll. Am liebsten wäre er aufgestanden und hätte sie tröstend in die Arme genommen. Nika blickte ihn unverwandt aus großen Augen an, strich sich eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn.
    Â»Es ist schon so spät«, flüsterte sie. »Sie … Sie müssen morgen arbeiten. Es tut mir leid …«
    Ihre Rücksicht beeindruckte ihn.
    Â»Das muss es nicht«, beeilte er sich zu sagen. »Und morgen ist Samstag. Ich habe alle Zeit der Welt.«
    Sie lächelte, ein kurzes, dankbares Aufleuchten, das sofort wieder erlosch. Ein wenig Farbe war in ihr blasses Gesicht zurückgekehrt. Sie schob das Glas zur Seite, faltete ihre Hände und holte tief Luft.
    Â»Ich heiße Annika Sommerfeld«, sagte sie mit gesenkter Stimme. »Ich habe fünfzehn Jahre lang am Deutschen Klima-Institut als Assistentin von Professor Dirk

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