Wer Wind sät
Ihnen weiter.«
»Danke.« Eisenhut lächelte mühsam und legte Theissen kurz die Hand auf die Schulter. »Es ist immerhin eine Chance. Und entschuldigen Sie bitte mein Benehmen von vorhin.«
»Schon in Ordnung. Es würde mich freuen, wenn ich Ihnen helfen konnte.«
Als Theissen die Tür hinter sich geschlossen hatte, zückte Eisenhut sein Handy und tippte auf eine gespeicherte Nummer. Er wartete ungeduldig, bis sich am anderen Ende der Leitung endlich jemand meldete.
»Ich binâs«, sagte er knapp. »Ich glaube, ich habe sie gefunden. Ihr müsst sofort herkommen.«
Dann ging er zur Minibar, nahm ein Fläschchen Whisky heraus und leerte es in einem Zug. Der hochprozentige Alkohol beruhigte seine Nerven. Er atmete ein paar Mal tief durch und trat wieder ans Fenster, so dicht, dass das Glas unter seinem Atem beschlug.
»Wo hast du dich versteckt, du Miststück?«, murmelte er mit zusammengebissenen Zähnen. Sie lebte, das spürte er mit jeder Faser seines Körpers. Er würde sie finden. Und dann gnade ihr Gott.
*
Mit düsteren Mienen saÃen sie um den blankgescheuerten Küchentisch herum. Niemand sagte ein Wort. Das Gewitter war weitergezogen, gleichmäÃig strömte der Regen vom Himmel. Bodenstein stand auf, öffnete das Fenster und stieà den Fensterladen zur Seite. Feuchte Luft fuhr ihm ins Gesicht, sie duftete nach Regen und Erde. Das Wasser gluckerte in den Fallrohren und plätscherte in die Regentonne neben der Küchentür.
»Wir können nicht darauf warten, dass dieser Typ seine Drohung wahr macht«, sagte Marie-Louise nun ungehalten. »Ich schufte seit Jahren Tag und Nacht für das Restaurant und habe keine Lust, mir das kaputtmachen zu lassen.«
Bodenstein hatte seinen Bruder und seine Schwägerin angerufen und ihnen von der Erbschaft und Rademachers unverhohlener Drohung berichtet. Seit anderthalb Stunden überlegten sie gemeinsam, wie sie sich verhalten sollten.
»Ich verstehe nicht, warum du zögerst, Vater«, meldete sich Quentin, der bisher kaum etwas gesagt hatte, zu Wort. »Verkauf denen diese Wiese. Damit bist du alle Sorgen los.«
Bodenstein warf seinem Bruder einen kurzen Blick zu. Quentin war ein Pragmatiker; moralische Bedenken quälten ihn so gut wie nie.
»Das geht nicht«, widersprach Heinrich von Bodenstein seinem jüngsten Sohn mit müder Stimme. »Wie stehe ich denn vor den anderen da, wenn ich das tue?«
In den letzten vier Tagen war er um Jahre gealtert. Sein schmales Gesicht wirkte eingefallen, die Augen lagen in tiefen Höhlen.
»Ach, Vater! Wenn das deine einzige Sorge ist!« Quentin schüttelte unwillig den Kopf. »Jeder andere Mensch auf dieser Welt hätte weniger Gewissensbisse als du, das schwöre ich dir.«
»Deshalb hat Ludwig ja auch mir die Wiese vererbt und keinem anderen«, entgegnete sein Vater. »Eben weil er wusste, dass ich in seinem Sinne handeln würde.«
»Dein Anstand in allen Ehren«, bemerkte Marie-Louise spitz. »Ich sehe allerdings nicht ein, dass wir unter den Konsequenzen leiden sollen. Wir sollten abstimmen, und zwar â¦Â«
Ein Klopfen an der Haustür lieà sie mitten im Satz verstummen. Alle erstarrten und blickten sich besorgt an. Es war kurz vor Mitternacht. Wer konnte das sein?
»Habt ihr das Hoftor nicht wieder hinter euch abgeschlossen?«, flüsterte Bodensteins Mutter mit einem furchtsamen Ausdruck in den Augen.
»Nein«, gab Quentin zu. »Wir müssen ja später wieder raus.«
»Aber ich hatte dich doch gebeten â¦Â«
»Mutter, das Tor steht seit vierzig Jahren Tag und Nacht auf«, schnitt er ihr ungeduldig das Wort ab. »Du siehst ja schon Gespenster!«
Da niemand Anstalten machte, zur Tür zu gehen, schob Bodenstein seinen Stuhl zurück und stand auf.
»Sei vorsichtig!«, rief seine Mutter ihm nach.
Im Flur drückte er auf den Lichtschalter für die AuÃenbeleuchtung und öffnete nacheinander Riegel, Kette und Schloss. Sollte der Riese mit dem Pferdeschwanz tatsächlich so dreist sein und zu dieser Uhrzeit hier auftauchen, konnte er etwas erleben. Mit Schwung riss Bodenstein die Tür auf und erblickte im trüben Licht der Wandlaterne statt eines kräftigen Mannes eine zierliche Frau. Den ganzen Tag hatte er immer wieder an sie gedacht, und als sie nun so unerwartet vor ihm stand, tat sein Herz einen wilden,
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