Wer Wind sät
zu und ging zurück zum Haus. Eigenartiges Verhalten. Weder schien sie das Schicksal von Frauke Hirtreiter sonderlich zu berühren, noch benahm sie sich wie jemand, der gerade Todesängste ausgestanden hatte. Irgendetwas stimmte an ihrer Geschichte nicht. Irgendetwas stimmte hier überhaupt nicht. Pia konnte nicht sagen, was es war und wie sie darauf kam, aber das Misstrauen lieà sich nicht vertreiben.
*
Bodenstein stellte sein Auto vor den Garagen ab und ging hinüber zum Gebäude der RKI . Er musste Pia noch vor der Vernehmung von Frauke Hirtreiter alles erzählen: von dem unglückseligen Erbe seines Vaters bis hin zu Annika Sommerfelds Geheimnis. Je länger er wartete, desto tiefer würde die Kluft zwischen ihnen werden, ein unüberbrückbarer Abgrund, wie er sich zwischen Cosima und ihm aufgetan hatte.
Unüberbrückbar , dachte er. Was für ein komisches Wort. Gestern Nacht, als er mit Annika geredet hatte, war Cosima mehrfach durch seinen Kopf gegeistert, und er hatte festgestellt, dass sich sein Groll auf sie verflüchtigt hatte. Plötzlich gab es eine neue Perspektive in seinem Leben. Er wusste nicht viel von Annika, und was er wusste, lieà keine groÃe Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft zu. Aber es war eben einfach ⦠passiert. Er hatte sich bei der ersten Begegnung in sie verliebt. Seither flatterten Schmetterlinge in seinem Bauch und verdarben ihm den Appetit, wenn er nur an sie dachte. So war es ihm erst einmal im Leben ergangen, mit Inka Hansen, und das lag sehr, sehr lange zurück. Nicola war damals nur ein Trostpflaster für sein gebrochenes Herz gewesen, und Cosima hatte leichtes Spiel gehabt. Sie hatte ihn herausgefordert, besiegt und als Beute in ihr Bett geschleift. Rückblickend musste Bodenstein sich eingestehen, dass er Cosimas Temperament nie wirklich gewachsen gewesen war. In ihrer Beziehung war immer sie die Tonangebende gewesen. Als Meisterin der Manipulation hatte sie ihren Willen so raffiniert durchgesetzt, dass er oft geglaubt hatte, er selbst habe es genau so gewollt. Ihre Untreue war für ihn deshalb so schlimm gewesen, weil er erkannt hatte, wie wenig sie ihn eigentlich brauchte: weder als Reisebegleiter noch als Ernährer und schon gar nicht als Liebhaber. Sie hatte ihn zum Trottel gemacht, und zwar in aller Ãffentlichkeit. Das hatte ihn am meisten gekränkt.
Annika war anders. Sie erinnerte ihn an Inka, mit der es aufgrund einer Reihe verhängnisvoller Missverständnisse kein Happyend gegeben hatte. Das durfte diesmal nicht geschehen.
Bodenstein nickte dem wachhabenden Beamten zu, der drückte auf einen Knopf. Es summte, und Bodenstein öffnete die Glastür. Im Gang kam ihm schon Cem Altunay entgegen: Dr. Engel wolle ihn sprechen. Und zwar sofort. Wenig später klopfte Bodenstein an die Tür von Dr. Engels Büro, die beinahe in derselben Sekunde geöffnet wurde. Sein Blick fiel auf Enno Rademacher, der auf einem der Stühle vor dem Schreibtisch saÃ. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen und bleckte hinter Nicolas Rücken seine nikotingelben Zähne zu einem beunruhigend zufriedenen Grinsen. Bodenstein schwante nichts Gutes.
»Bitte warten Sie noch einen Moment drauÃen, Herr Rademacher«, sagte Nicola Engel. »Meine Kollegin Frau Kirchhoff wird gleich da sein.«
Rademacher verlieà das Büro, nicht ohne Bodenstein noch einen spöttischen Blick zugeworfen zu haben. Die Kriminalrätin schloss hinter ihm die Tür und kam ohne Umschweife zur Sache.
»Stimmt es, dass dein Vater von dem verstorbenen Ludwig Hirtreiter eine Wiese geerbt hat?« Sie ging hinter ihren Schreibtisch, öffnete eines der Fenster und setzte sich.
Bodenstein bejahte. Was sollte das? Auf was wollte sie hinaus?
»Und diese Wiese spielt in den Ermittlungen im Mordfall Hirtreiter eine Rolle?«
»Ja. Rademacher und sein Chef haben Hirtreiter für die Wiese mehrere Millionen Euro geboten. Wir haben sogar eine Zeitlang vermutet, Hirtreiters Weigerung, die Wiese an die WindPro zu verkaufen, könnte das Motiv für seine Ermordung gewesen sein.«
»Aha. Und jetzt gehört diese Wiese deinem Vater.«
»Wenn es nach dem Letzten Willen seines Freundes geht, ja.«
»Stimmt es, dass die WindPro deinem Vater bereits ebenfalls ein Kaufangebot unterbreitet hat?«
»Ja, das stimmt.« Bodenstein nickte. »Rademacher hat mich aufgefordert, auf meinen Vater
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