Wer Wind sät
herunter.
»Kann ich einsteigen?«, fragte die Schwester von Mark Theissen und blickte sich besorgt um. »Mein Vater muss mich nicht unbedingt mit Ihnen sehen.«
»Ja, klar«, erwiderte Pia überrascht. »Steig ein.«
Das Mädchen öffnete die hintere Tür und schlüpfte auf die Rückbank.
»Ich heiÃe übrigens Sarah«, sagte sie. Dann holte sie tief Luft.
»Es ist wegen Mark. Er ist vorgestern Abend komplett durchgedreht. Hat mit seinem Kopf immer wieder auf den Schreibtisch gehauen, bis alles voller Blut war. Irgendwas muss passiert sein. Er ist auf jeden Fall wieder voll komisch.«
»Was heiÃt âºwiederâ¹?«
»Na ja, nach der Sache im Internat â¦Â« Sarah Theissen hob vielsagend die Augenbrauen. »Das hat ihn total verändert.«
»Was war denn im Internat?«, erkundigte Pia sich.
»Er ist von einem Lehrer über zwei Jahre sexuell missbraucht worden. Meinen Eltern war das damals schrecklich unangenehm. Sie haben nie drüber gesprochen, aber ich weià es trotzdem, weil ich die Briefe von der Polizei und den Psychologen gelesen habe.«
Pia und Cem wechselten einen Blick.
»Wie lange ist das her? Wie alt war Ihr Bruder damals?«
»Zwei Jahre. Er war vierzehn, als das alles rauskam.«
»Wie ist Mark damit umgegangen? Hat er mit Ihnen mal darüber geredet?«
»Nein.« Sarah schüttelte den Kopf. »Nie. Er hat sich völlig abgekapselt. Hatte keine Freunde und saà nur am Computer. Meine Mom musste mit ihm immer zum Psycho-Doc fahren, aber da hat er auch keinen Ton gesagt. Irgendwann haben sieâs aufgegeben. Vor einem halben Jahr war dann der Prozess gegen den Dr. Schütt. Er hatâs ja nicht nur mit meinem Bruder getrieben, das Schwein.«
Sie verzog angewidert das Gesicht.
»Der feige Herr Doktor hat sich in seiner Zelle aufgehängt. Das war sogar im Fernsehen, und so hat Mark wohl auch davon erfahren. An dem Abend ist er total ausgerastet. Er hat einen von Papas Golfschlägern genommen, ist aus dem Haus gerannt und hat zehn Autos zertrümmert. Dann hat er sich mitten auf die Frankfurter StraÃe gelegt und auf die Bu⦠äh ⦠die Polizei gewartet. Sie haben ihn zu Arbeitsstunden verknackt, und deshalb ist er bei dieser Ricky im Tierheim gelandet. Auf die und ihren Freund fährt er voll ab. Und âne ganze Zeit war auch alles gut. Bis vor ein paar Tagen. Da hat er wieder angefangen, diese Computerspiele zu spielen. Stundenlang.«
»Welche?«
»Counterstrike. Soldier of Fortune. Rogue Spear. So was halt.« Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Meine Eltern haben keinen Plan, was mit ihm los ist. Die hatten schon immer nur ihren eigenen Kram im Kopf.«
»Geht Mark noch zur Schule?«, erkundigte sich Cem.
»Meistens macht er blau. Die Lehrer rufen ständig an, aber das nützt nichts.«
»Wo könnte er jetzt sein?«
»Bei Ricky. Hundertprozentig.« Sie zögerte. »Sie haben doch eben zu meinen Eltern gesagt, Ricky und ihr Freund könnten Mark aufgehetzt haben. Das glaub ich auch. Ich will jetzt nicht sagen, dass Mark unsere Eltern hasst, aber es ist schon irgendwie nah dran.«
»Weshalb war Mark eigentlich auf einem Internat? Hier gibtâs doch zig Schulen«, wollte Pia wissen.
»Unsere Eltern hatten zu wenig Zeit.« Sarah zuckte die Schultern. »Es fing damals grad an, richtig gut zu laufen, mit den Windparks. Meine Schwester und ich haben uns dagegen gewehrt, in ein Internat abgeschoben zu werden, aber Mark hatte null Chance. Er musste gehorchen. Sie hatten ihm eigentlich versprochen, ihn jedes Wochenende nach Hause zu holen, aber meistens haben sieâs doch nicht getan. Alles andere war ja immer wichtiger als wir.«
Pia versuchte, sich an den Jungen zu erinnern, den sie heute Vormittag nur flüchtig wahrgenommen hatte. Sein Gesicht hatte sie nicht mehr richtig vor Augen, wohl aber seine verzweifelte Miene. Er musste geglaubt haben, Friederike Franzen sei tot, und erst jetzt begriff sie, welche Angst er ausgestanden haben musste. Frau Franzen war offenbar die einzige Person in seinem Leben, die ihm so etwas wie Wohlwollen entgegenbrachte.
»Danke, Sarah.« Cem lächelte. »Das war sehr aufschlussreich für uns. Ich gebe Ihnen mal meine Karte. Rufen Sie mich bitte an, wenn Ihnen noch etwas einfällt, oder wenn Mark zu Hause auftaucht.«
»Klar. Mach
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