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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Abends vor zehn Jahren, als alles angefangen hatte. Dem Champagner war ihre erste gemeinsame Nacht gefolgt, die erste von unzähligen weiteren. Obwohl sie sich dagegen wehrte, brach die alte Sehnsucht in ihrem Herzen auf. Weshalb liebte er sie nicht?
    In den bodentiefen Fenstern spiegelte sich das große Büro; sie sah ihn, der sich in all den Jahren kaum verändert hatte, und sich selbst, längst nicht mehr die junge, ehrgeizige Wissenschaftlerin von damals. Alt war sie geworden, mit Falten der Verbitterung im Gesicht. Eine reizlose, graue Maus, eine alte Jungfer, an der das Leben vorbeigegangen war, weil sie sich in den falschen Mann verliebt hatte.
    Â»Frohe Weihnachten!«, lächelte er und reichte ihr ein Glas. Nein, aus der Nähe betrachtet war er auch nicht mehr der dynamische junge Institutsleiter von damals. Sein Haar war dünn geworden, er hatte Tränensäcke unter den blauen Augen. Mit einem Anflug gehässiger Zufriedenheit bemerkte sie einen deutlichen Bauchansatz und seinen unangenehmen Mundgeruch. Diese Bettina hatte einen alten Mann geheiratet.
    Â»Frohe Weihnachten!« Sie erwiderte sein Lächeln und stieß mit ihm an. Trank einen Schluck. Der Champagner schmeckte nicht. Am liebsten hätte sie ihm den Glasinhalt ins Gesicht geschüttet und ihn angeschrien. Warum hast du mir so weh getan? Warum hast du mich betrogen? Warum hast du eine andere geheiratet?
    Â»Was hast du denn?«, erkundigte Dirk sich. »Du siehst so unglücklich aus.«
    Das Mitgefühl in seiner Stimme bohrte sich wie ein Messer in ihr Herz, sie kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen. Ein Glas Champagner in seinem Büro, das war alles, was sie an Weihnachten je von ihm bekommen würde. Den Weihnachtsbaum in seinem Haus schmückte eine andere Frau. Bettina, mit der er morgen zu seinen Eltern fahren und Weihnachtsgans essen würde. Mit der er in ihrem Haus lebte. Es tat entsetzlich weh, daran zu denken, aber es war gleichzeitig gut. Nur, wenn sie nicht vergaß, was er ihr angetan hatte, konnte sie stark bleiben und die Sache durchziehen. Ihr wurde schwindelig. Vielleicht hätte sie vor dem Alkohol etwas essen sollen.
    Â»Annika? Was hast du denn? Geht es dir nicht gut?«
    Dirks Stimme schien weit entfernt, seine besorgte Miene verschwamm vor ihren Augen. Sie griff sich an den Kopf. Er nahm ihr sanft das Glas aus der Hand, und auf einmal lag sie in seinen Armen. Sein Gesicht war ganz nah vor ihrem und doch weit weg. Ihr Kopf fühlte sich wattig an. Plötzlich gaben ihre Beine unter ihr nach. Etwas klirrte. Wo war Dirk? Was war passiert?
    Sie lag auf dem Boden, Dirk stand hinter seinem Schreibtisch. Er hatte einen Telefonhörer am Ohr und presste die Hand an den Kopf. War da Blut an seiner Wange? Seine Stimme klang aufgebracht. Annika blinzelte, versuchte zu verstehen, was er sagte, aber nur Bruchstücke seiner Worte drangen in ihr vernebeltes Bewusstsein.
    Â»â€¦ hat mich angegriffen«, hörte sie. »Ich bin verletzt! Ja, beeilen Sie sich. Sie ist völlig durchgedreht … ist mit einer abgebrochenen Flasche auf mich losgegangen …«
    Sie war müde. Spürte ihren Körper nicht mehr. Speichel rann aus ihrem Mundwinkel.
    Â»Dirk«, lallte sie benommen. Und dann war alles dunkel.

Sonntag, 17. Mai 2009
    Mark erwachte vom Klingeln eines Handys. Er öffnete die Augen und blinzelte verwirrt in helles Sonnenlicht. Für einen kurzen Moment wusste er nicht, wo er sich befand, doch dann fiel es ihm wieder ein, und sofort war er hellwach. Ricky musste schon aufgestanden sein, er lag allein auf der Matratze. Es war ihre erste gemeinsame Nacht gewesen, und er war einfach nur glücklich. Mark stand auf und ging hinüber in das kleine Badezimmer. Er klappte den Klodeckel hoch und pinkelte. Dann trat er ans Waschbecken, betrachtete kritisch sein Spiegelbild. Irgendwie hatte er angenommen, die vergangene Nacht müsse ihn auch äußerlich verändert haben, doch er sah aus wie immer. Ricky war in der Küche. Sie stand mit dem Rücken zu ihm am Fenster und rauchte eine Zigarette. Gerade als er sie von hinten umarmen wollte, klingelte wieder ihr Handy, und sie ging dran.
    Â»Hallo, mein Schatz«, gurrte sie mit gesenkter Stimme. »Wie geht es dir? Konntest du ein bisschen schlafen, oder hast du Schmerzen?«
    Mark wich ein paar Schritte zurück. Hallo, mein Schatz? Gestern Abend hatte sie doch noch ganz anders von Jannis

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