Wer Wind sät
Polizei auftaucht«, sagte sie. »Wir reden später über alles. Und jetzt geh raus. Ich muss aufs Klo.«
Er gehorchte. Sie wollte mit ihm reden. Später. Das bedeutete immerhin, dass nicht alles aus war. Mark klaubte im Schlafzimmer seine Klamotten zusammen und zog sich niedergeschlagen an. Dabei nahm er sich fest vor, in Zukunft nicht mehr heimlich zu lauschen, wenn sie telefonierte. Er ging in die Küche und öffnete seinen Rucksack, den er gestern achtlos auf einen der Stühle geworfen hatte. Glücklicherweise hatte er die Tabletten dabei. Er lieà ein Glas mit Leitungswasser volllaufen und schluckte gleich zwei Stück. Sein Blick fiel auf Rickys Handy, das sie auf dem Küchentisch liegen gelassen hatte. Mit wem hatte sie wohl gesprochen, bevor Jannis angerufen hatte?
Er zögerte einen Moment, massierte mit dem Handballen nachdenklich seine schmerzende Schläfe. SchlieÃlich siegte seine Neugier, er rief die Anrufliste des Telefons auf und stutzte. Was wollte sein Vater an einem Sonntagmorgen um zehn nach sieben von Ricky? Wenn es um ihn ging, hätte sie es ihm doch gesagt, oder nicht? Er starrte das Telefon in seiner Hand an. Ihm kam ein unglaublicher Verdacht, der ein flaues Gefühl in ihm weckte. Seine Knie wurden weich. Nebenan rauschte die Klospülung, rasch legte er das Handy zurück auf den Tisch.
DrauÃen begannen die Hunde in ihren Zwingern zu bellen. Wahrscheinlich war Rosi, die sonntags immer die Frühschicht im Tierheim hatte, im Anmarsch.
»Beeil dich ein bisschen.« Ricky erschien in der Küche. »Muss ja nicht sein, dass Rosi uns hier zusammen rauskommen sieht.«
Die Frage, weshalb sie heimlich mit seinem Vater telefonierte, brannte ihm auf der Seele, aber er fürchtete sich zu sehr vor der Antwort.
»Was hast du denn?« Sie sah ihn an.
Stumm blickte er sie an. Seine Augen tränten, so sehr hämmerte der Schmerz in seinem Kopf. Da nahm sie ihn in die Arme und küsste ihn auf die Wange.
»Ach, Mark, es tut mir leid«, flüsterte sie an seinem Ohr. »Ich wollte eben nicht so grantig sein, aber ich hab grad ziemliche Sorgen. Es war eine schöne Nacht mit dir, wirklich. Wir sehen uns später, okay?«
Sie lieà ihn los, ging zur Tür. Sein Herz pochte, und das Glücksgefühl kehrte zurück. Sie hatte ihm nicht absichtlich weh getan. Alles war wieder gut.
»Okay«, murmelte er benommen, obwohl sie ihn nicht mehr hören konnte. »Okay.«
*
Das Gespräch mit Pia hatte einen Nachklang in ihm hinterlassen. Er hatte in der Nacht kein Auge zugemacht, und das erste Mal seit Monaten war nicht Cosima der Grund für seine Schlaflosigkeit. Bodenstein stand auf, leise, um Annika nicht zu wecken, die auf der anderen Seite des Bettes lag und schlief. Du bist mein Anker gewesen, als alles um mich herum den Bach hinuntergegangen ist . Das hatte er ganz spontan zu Pia gesagt, und je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass es genau so war. Ganz allmählich hatte sie sich von einer guten, verlässlichen Kollegin zum wichtigsten Menschen in seinem Leben entwickelt. Und ausgerechnet sie hatte er mit seinem Verhalten, das er sich selbst kaum erklären konnte, heftig vor den Kopf gestoÃen. Das war unfair.
Bodenstein stieg mit nackten FüÃen die knarrende Holztreppe hinunter und ging in die Küche. Pias Bedenken hatten ihn ernüchtert. Mit einem Mal konnte er wieder klar sehen. Sie hatte vollkommen recht, er setzte seine berufliche Zukunft aufs Spiel, wenn er Annika einfach half und damit womöglich gegen Gesetze verstieÃ. Es musste eine andere Lösung geben als die, die Annika vorgeschlagen hatte. Seine Beurlaubung war eine vorübergehende Sache; Rademachers Anzeige würde ohnehin ins Leere laufen, denn mit der Entscheidung seines Vaters, diese unselige Wiese nicht an die WindPro zu verkaufen, war das Millionenangebot Schnee von gestern.
Vielleicht sollte er Nicola anrufen. Er hatte ein schlechtes Gewissen, Pia mit der Verantwortung für zwei Fälle gänzlich allein zu lassen. AuÃerdem musste er dringend mehr über die Hintergründe dieser beiden Morde erfahren, die man Annika vorwarf. Nicola hatte die Möglichkeit, Akteneinsicht zu bekommen.
Gähnend machte er sich daran, Kaffeepulver in die Kaffeemaschine zu löffeln. Erst zwanzig nach sieben! Sein Blick fiel aus dem Fenster. Der Tag heute würde wieder wunderschön werden, das
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