Wer Wind sät
interessiert mich im Moment herzlich wenig. Und jetzt habe ich Hunger.«
*
Seine Schwester hatte ihm eine SMS geschrieben. Die Bullen und sein Vater suchten nach ihm. Daraufhin hatte Ricky vorgeschlagen, die Nacht in der leerstehenden Pflegerwohnung des Tierheims zu verbringen. Sie fühle sich nach dem Ãberfall im Haus ohnehin nicht mehr wohl, hatte sie behauptet, aber Mark wusste, dass sie es ihm zuliebe tat.
Er hatte sich geschworen, sie zu beschützen. Niemand würde ihr mehr etwas antun, solange er da war, um es zu verhindern. Sie hatten zusammen die Abendrunde gedreht, danach lauwarme Pizza gegessen und Rotwein dazu getrunken. Er hatte sich den ganzen Abend über sehr männlich und erwachsen gefühlt. Ricky behandelte ihn nie wie einen kleinen Jungen, sie nahm ihn ernst, und das tat ihm gut. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte er keine Kopfschmerzen gehabt.
Nun lag Mark auf der Matratze neben dem alten Klappsofa, auf dem Ricky schlief. Hellwach starrte er in die Dunkelheit. Dieser ganze Tag war aufregend und vollkommen verrückt gewesen. Zuerst die grässliche Angst, als er Ricky in der Badewanne gefunden hatte, dann das Gewehr auf dem Heuboden im Stall. Frauke mit ihren dummen Lügengeschichten! Und Jannis, der einen Unfall gehabt hatte und jetzt im Krankenhaus lag. Es war alles so unglaublich!
»Mark?«
Er hatte geglaubt, sie würde schon schlafen. Immerhin hatte sie fast eine ganze Flasche Rotwein getrunken.
»Ja?«
»Ich bin so froh, dass du da bist. Ohne dich würde ich vor Angst sterben.«
Bei diesen Worten musste er lächeln, und ihm wurde ganz warm vor Glück.
»Du bist einfach wunderbar«, sagte sie leise. »Es ist so schön, dass ich mich immer auf dich verlassen kann.«
»Aber das mach ich doch alles gerne«, erwiderte er mit rauer Stimme. Sie wusste ja gar nicht, wie gerne. Sie bedeutete ihm so viel, mehr als jeder andere Mensch auf der ganzen weiten Welt. Wenn er in ihrer Nähe war, dann war alles gut.
Stille herrschte in dem flachen langgestreckten Gebäude, in dem sich auch das Büro, die Futterküche und das Lager des Tierheims befanden. Mark hörte Rickys regelmäÃige Atemzüge. Sie hatte erzählt, dass es Jannis wohl ziemlich übel erwischt hatte. Ein Auto war über sein Bein gefahren. Recht geschah es ihm, dem verlogenen Mistkerl! Hoffentlich blieb er ganz lange weg, am besten für immer.
Das altertümliche Schlafsofa quietschte leise.
»Mark?«
»Ja?«
»Kann ich zu dir kommen?«
Sein Herz schlug einen Trommelwirbel. Hatte er das geträumt? Kann ich zu dir kommen? Das hatte schon einmal jemand zu ihm gesagt. Würde es dir etwas ausmachen, mich anzufassen? Nur ein bisschen. Das ist so schön.
Mark schluckte.
»Ja. Klar«, sagte er leise. Die Federn des Sofas quietschten wieder, dann senkte sich seine Matratze unter ihrem Gewicht. Er rückte zur Seite, sie kroch unter die Decke und schmiegte sich eng an ihn. Die Wärme ihres Körpers elektrisierte ihn und weckte unwillkürlich Erinnerungen an einen anderen warmen Körper dicht an seinem. Stopp, dachte er. Ricky war nicht Micha. Sie würde ihm nicht weh tun. Sie suchte nur seine Nähe, weil sie sich alleine fürchtete.
Er hörte ihren Atem dicht an seinem Ohr. Spürte ihre Hand auf seinem Oberschenkel und bekam eine wohlige Gänsehaut. Sie seufzte leise, hörte nicht auf, ihn zu streicheln. Mark schloss die Augen, presste die Lippen zusammen. Der rote BH . Die feinen blonden Härchen auf ihrer Haut. Sein Atem ging schneller. Nimm bitte deine Hand da weg, wollte er sagen, bitte! Aber es war so schön. Seit Micha hatte ihn niemand mehr so zärtlich berührt. Rickys Hand glitt über seinen Bauch, ihre Finger schoben sich unter das Gummi seiner Boxershorts. Er lag da wie gelähmt. Alle möglichen Geschichten, die er auf dem Schulhof von den anderen Jungs aufgeschnappt hatte, schossen ihm durch den Kopf. Sie sprachen über dieses Thema in spöttischem, ja beinahe verächtlichem Tonfall. Ficken. Vögeln. Bumsen. Das klang schmutzig und widerlich. Genau wie das, was Jannis mit Ricky auf der Terrasse getan hatte. Das hatte nichts mit Liebe zu tun gehabt. Dabei war Liebe das Wichtigste von allem. Mark hatte keine Ahnung, was Ricky von ihm erwartete. Sein Herz raste, sein Mund war staubtrocken. Micha hatte sich aufgehängt, weil sie ihn deswegen vor Gericht gestellt
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