Wer Wind sät
das ja noch nicht her.«
»Ich meine nicht die Umstände«, sagte Bodenstein. »Ich meine ⦠deine Gefühle.«
»Was hat das denn jetzt damit zu tun?« Pia reagierte halsstarrig, obwohl sie ahnte, worauf er hinauswollte.
»Alles. Du hast ihn kaum gekannt, und trotzdem hast du ihm vertraut, obwohl ich damals felsenfest davon überzeugt war, dass er Paulys Mörder sei. Ich habe dich sogar verunsichert, aber du hast nie an ihm und seiner Unschuld gezweifelt.«
Pia verschränkte die Arme vor der Brust und ging durch den dunklen Garten zu der Holzbank, die unter einem Rosenbogen stand. Das war nicht dasselbe. Oder doch? Sie blieb stehen und starrte in die Dunkelheit. Nur über den Kämmen des Taunus stand noch ein schmaler rötlicher Streifen, am schwarzen Himmel funkelten die ersten Sterne. Die blühenden Büsche und die Rosen verströmten einen betäubenden Duft; es roch nach feuchter Erde und Frühling.
Es war unfair von Bodenstein, ihr die ganze Verantwortung zu überlassen. Wäre er von Anfang an wegen dieser Erbschaft aufrichtig gewesen, hätte es nicht so weit kommen müssen. Und vielleicht kam ihm die Beurlaubung nicht einmal ungelegen. So hatte er jede Menge Zeit für diese Annika.
»Ich war mir Cosima immer sicher«, sagte Bodenstein, der ihr gefolgt war. »Sechsundzwanzig Jahre lang. Und dann musste ich feststellen, dass ich sie nie richtig gekannt habe. Mit Heidi, das war ein Strohfeuer. Unwichtig. Aber Annika ⦠du hast recht, ich kenne sie überhaupt nicht, ich weià so gut wie nichts von ihr, auÃer, dass sie in einer wirklich bösen Klemme steckt. Vielleicht fehlt mir im Augenblick die Objektivität. Aber ich muss ihr helfen.«
Sie wandte ihm den Rücken zu. Wie konnte sie ihm klarmachen, dass sein Vorhaben ihn den Kopf kosten würde, wenn etwas schiefging?
»Es klingt jetzt vielleicht etwas schwülstig, Pia, aber du bist in den letzten Monaten mein Anker gewesen, als alles um mich herum den Bach hinuntergegangen ist. Versuch doch wenigstens, mich zu verstehen. Es ist mir wirklich wichtig.«
Ihr Zorn auf ihn verflog. Niemand konnte das Dilemma, in dem er steckte, besser verstehen als sie selbst. Ihr wurde bewusst, was in diesen Tagen auf ihn eingestürmt war. Schon Hirtreiters gewaltsamer Tod und der Anblick seines am Boden zerstörten Vaters hatten ihn tief erschüttert. Dann das Drama in der Dattenbachhalle, als er nur knapp mit dem Leben davongekommen war. Und schlieÃlich Annika. Plötzlich waren Gefühle im Spiel, mit denen er nicht gerechnet hatte. Das wäre schon für einen seelisch stabilen Menschen zu viel gewesen, und mit Bodensteins seelischer Stabilität war es seit der Sache mit Cosima nicht mehr weit her.
Pia stieà einen Seufzer aus und wandte sich um.
»Es tut mir leid, wie ich reagiert habe«, sagte sie versöhnlich. »Ich bin vielleicht etwas gestresst. Und ich mach mir Sorgen um dich.«
Sie sahen sich an. In der Dunkelheit konnte sie seine Gesichtszüge nur erahnen.
»Ich weië, antwortete Bodenstein. »Mir tut es auch wirklich leid, dir die ganze Arbeit zu überlassen.«
»Das kriege ich schon irgendwie hin.« Pia sog nachdenklich an ihrer Unterlippe. »Was kann ich tun?«
»Eigentlich nichts. Es wäre nicht richtig von mir, dich da mit reinzuziehen. Das muss ich alleine regeln. Du solltest nur wissen, was los ist.«
»Du setzt alles aufs Spiel, wenn du dich irrst.«
»Das hast du damals mit Christoph auch getan.«
Sie lächelte, legte den Kopf schief.
»Dann pass wenigstens auf dich auf«, sagte sie mit rauer Stimme. »Ich bin nur kommissarisch Leiterin des K 11 . Und ich bin nicht scharf auf einen neuen Chef.«
24. Dezember 2008
»Anna!« Er lächelte erfreut, als sie sein Büro betrat, und erhob sich von seinem Schreibtisch. »Schön, dass du es noch geschafft hast. Es wäre für mich kein Weihnachten gewesen, wenn wir nicht wenigstens drauf angestoÃen hätten.«
Sie war fest davon überzeugt gewesen, ihre Emotionen im Griff zu haben, sonst wäre sie nicht gekommen. Die Arglosigkeit in seinem Blick lieà sie innerlich erzittern. Er hatte keine Ahnung, welche Macht sie über ihn besaÃ. Sie beobachtete, wie er die Flasche Champagner aus dem Eiskühler auf dem Besprechungstisch nahm und sie öffnete. Es war wie ein Déjà -vu, wie die Wiederholung jenes
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