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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Mama alleine. Um die Zeit holt sie immer die Kühe rein.«
    Sie klappte die Sonnenblende herunter und betrachtete kurz ihr Spiegelbild. Die Anspannung auf ihrem Gesicht war nicht zu übersehen. Bodenstein legte seine Hand auf ihre.
    Â»Mach dir keine Sorgen«, sagte er.
    Â»Du kennst meinen Stiefvater nicht. Er hasst mich«, erwiderte sie dumpf. »Ich wünschte, wir wären schon wieder weg.«
    Zwei Minuten später rollte das Auto auf einen großen Hof, der von einer gewaltigen Kastanie dominiert wurde. Das ganze Dorf bestand aus lediglich drei Bauernhöfen, der größte war der von Annikas Stiefvater, ein großes, zweistöckiges Gebäude aus düsterem rotem Backstein, eine unfreundliche Trutzburg, unter dessen tiefgezogenem Dach sich auch die Stallungen befanden. Bodenstein hielt an, sie stiegen aus. Der würzige Geruch von Kuhmist lag in der Luft. Zwei Rottweiler sprangen drohend am Gitter eines Zwingers hoch, bullige, schwarzbraune Tiere, mit deren schneeweißen Zähnen Bodenstein lieber keine Bekanntschaft machen wollte. Er streckte seine schmerzenden Bandscheiben und blickte sich um. Im Sommer mochte es ganz schön sein, im entlegensten Winkel der Schwäbischen Alb zu leben, aber wie musste es im Winter sein, kilometerweit entfernt von der nächsten Stadt?
    Â»Mama ist sicher im Stall. Die Melkmaschine läuft«, sagte Annika neben ihm. »Komm.«
    Er zögerte kurz, dann folgte er ihr in den Kuhstall, dessen Türen weit offen standen. Annika ging zielstrebig an den braun-weiß gefleckten Hinterteilen der Kühe vorbei, bog in einen Futtergang ein, in dem eine drahtige, ältere Frau in Kopftuch und Kittelschürze mit geübten, schwungvollen Bewegungen frisch gemähtes Gras an die Kühe verteilte.
    Â»Mama«, sagte sie und blieb stehen.
    Die Frau richtete sich auf und wandte sich um. Auf ihrem geröteten Gesicht machte sich ein ungläubiger Ausdruck breit, sie blickte von ihrer Tochter zu Bodenstein und zurück, dann ließ sie die Mistgabel fallen und breitete die Arme aus.
    *
    Â»Meine Bitte ist ungewöhnlich, und ich weiß nicht, ob es überhaupt richtig ist, Sie damit zu belästigen, noch dazu an einem Sonntagnachmittag. Aber es ist sehr dringend. Es geht um eine Frau, die sich im Umfeld der Bürgerinitiative aufhält, unter deren Mitgliedern Sie gerade ermitteln. Ihr Name ist Annika Sommerfeld.«
    Professor Dirk Eisenhut saß auf dem Besucherstuhl, auf dem heute Morgen noch Frauke Hirtreiter gesessen hatte, und Pia hatte hinter Bodensteins Schreibtisch Platz genommen. Sie lauschte ihm aufmerksam und versuchte, ihn einzuschätzen. Kantige, scharfe Gesichtszüge, hagere Wangen, tiefliegende blaue Augen. Ein ausgesprochen attraktiver Mann, zweifellos einen zweiten Blick wert und nicht zuletzt durch die Aura der Macht, die ihn umgab, für viele Frauen sicher unwiderstehlich. Kaum verwunderlich, dass sich die graue Maus Annika unsterblich in ihren Chef verliebt hatte, denn genau das war passiert, wie Eisenhut Pia erzählte.
    Â»Ich habe mir oft überlegt, was an meinem Verhalten diese irrigen Hoffnungen in ihr ausgelöst haben könnte.« Er sprach leise, seine Stimme war ein kultivierter Bariton. »Lange Zeit habe ich es gar nicht bemerkt. Vielleicht hätte ich rechtzeitig gegensteuern können.«
    Er blickte auf, Bitterkeit im Blick.
    Â»Noch nie habe ich mich derart in einem Menschen getäuscht wie in Annika. Sie hat mein ganzes Leben zerstört mit ihrem Wahn.«
    Das überraschte Pia nun doch ein wenig. Laut Bodenstein war noch gar nichts passiert, die gefährlichen Unterlagen warteten in einem Bankschließfach auf ihren folgenreichen Einsatz.
    Â»Sie war eine brillante Wissenschaftlerin. Hochintelligent, aber leider völlig eingleisig, eine Soziopathin. Wenn ich so zurückblicke, dann war ihr Verhalten all die Jahre über wirklich nicht normal. Sie hatte kein Leben außerhalb des Instituts. Keine Freunde, nichts. Nur mich.«
    Jedes einzelne seiner Worte schürte Pias Sorge um Bodenstein. Sie hatte sich Dirk Eisenhut nach Annikas Schilderungen vollkommen anders vorgestellt, als einen vom Ehrgeiz zerfressenen, rücksichtslosen Karrieretypen, doch die Realität war eine andere. Er war ihr sympathisch.
    Â»Ich wusste längst, dass sie sich mit O’Sullivan und seinen Leuten traf. Der Verfassungsschutz überwachte diese Gruppe ja bereits seit Jahren.

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