Wer Wind sät
wissen.
»Den Leuten vom Verfassungsschutz geht es nur um die Aufklärung der beiden Morde«, gab er zu, ohne den Kopf zu heben. »Sie haben schon mit Ihrem Chef darüber gesprochen, ihm aber nicht deutlich genug gemacht, wie gefährlich Annika ist. Jetzt haben sie erfahren, dass Ihr Chef beurlaubt wurde und Sie die Ermittlungen leiten, deshalb werden sie morgen früh sicherlich auch mit Ihnen deswegen sprechen.«
Als Eisenhut sie wieder anblickte, war seine Miene verzweifelt.
»Verstehen Sie, ich will Annika finden, bevor Ihre Kollegen das tun«, sagte er leise und eindringlich. »Ich muss unbedingt mit ihr sprechen. Das, was mit Bettina passiert ist, lässt mir einfach keine Ruhe. Bitte, Frau Kirchhoff, helfen Sie mir!«
*
Er konnte kaum noch auftreten, versuchte aber, den stechenden Schmerz zu ignorieren, und lief weiter. Ein paar Meter von Rickys Haus entfernt hatte ein Streifenwagen gestanden, in dem zwei Männer saÃen, und Mark war sicher, dass auch der Feldweg und der Stall beobachtet wurden. Nach Hause konnte er unmöglich gehen, seine Eltern würden es fertigbringen, die Bullen zu rufen. Seine einzige Hoffnung war das Tierheim. Irgendwie musste er seinen Fuà verarzten.
Vorhin im Wald hatte er sein Handy ausgeschaltet, damit seine Eltern nicht weiter mit Anrufen nervten oder die Bullen ihn womöglich wirklich orteten. Der Nachteil war allerdings, dass auch Ricky ihn nicht erreichen konnte. Hin und wieder schaltete er es für ein paar Sekunden ein und wählte ihre Nummer. Aber sie nahm nicht ab. Das machte ihn ganz verrückt. Er hatte keine Ahnung, was in der Zwischenzeit geschehen war. Hatte die Polizistin Jannis verhaftet? Hatten sie das Gewehr und die Pistole auf dem Heuboden gefunden?
Im Schutz der hereinbrechenden Dämmerung humpelte Mark den Wiesenweg entlang zum Waldrand. Das Tierheim lag einsam unten im Tal, das von Schneidhain zum Bangert hochführte, nachts kam niemand zufällig hier vorbei. Im Wald schlug Mark den schmalen Spazierpfad ein. Er musste langsam gehen, um nicht über Baumwurzeln zu stolpern. Als er das Tierheim erreicht hatte, war es stockdunkel, doch seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Eine Viertelstunde lang beobachtete er das Gelände, das von einem drei Meter hohen Maschendrahtzaun umgeben war.
Nichts regte sich. Kein Lichtschein fiel aus den Fenstern des flachen Verwaltungsgebäudes, nirgendwo war ein Auto zu sehen. Auf der anderen Seite des Tals leuchteten die Lichter von Königstein, weiter unten lag Schneidhain, aber der Rest des Tals bis hoch zur LandstraÃe, die nach Ruppertshain führte, lag im Dunkeln.
Er atmete erleichtert auf und tastete in seinem Rucksack nach dem Schlüssel, den er heute Morgen eingesteckt hatte â als ob er geahnt hätte, dass er ihn brauchen würde. Ob es ihm mit dem verletzten Fuà gelingen würde, über den Zaun zu klettern? Das Eingangstor musste er meiden, dort hing ein Bewegungsmelder, genau wie vor der Tür des Büros. Wenn er erst mal drinnen war, würde er die Dinger ausschalten können.
Blass stand die Mondsichel am wolkenlosen Nachthimmel. Eine Eule huschte dicht über seinen Kopf. Mark blickte sich um, dann warf er seinen Rucksack über den Zaun, setzte die FuÃspitze des gesunden FuÃes zwischen die Maschen und stemmte sich an einer Querstrebe in die Höhe. Keuchend vor Schmerzen kletterte er bis ganz nach oben, schwang ein Bein hinüber und zögerte einen Moment, bevor er sich auf der anderen Seite herabgleiten lieÃ. Es gelang ihm, ohne Schmerzen zu landen, aber der ganze Zaun vibrierte. Im Innern des Hundehauses bellte ein Hund, zwei andere fielen ein, verstummten dann aber wieder. Mark hinkte über den Hof, sorgsam hielt er sich auÃerhalb der Reichweite der Bewegungsmelder. Er erreichte das Verwaltungsgebäude von hinten, fummelte den Schlüssel in die Tür der Futterküche und trat ein. Erschöpft lieà er sich auf den Boden sinken und blieb ein paar Minuten reglos auf den kühlen Fliesen liegen, bevor er sich auf den Weg in die Apotheke machte. Der Rollladen des vergitterten Fensters war ganz hinuntergelassen, deshalb traute er sich, das Licht einzuschalten. In den Schränken fand er Kühlgel und elastische Bandagen für seinen Knöchel, der auf die GröÃe einer Grapefruit angeschwollen war. Die Uhr über der Tür zeigte 22 : 40 . Mark ging ins Büro und griff nach
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