Wer Wind sät
Jannis die Gutachten aus dem Tresor geklaut. Er hat die vertraulichen E-Mails vom Firmenserver kopiert und Jannis gegeben. Tja, es hat ihn ziemlich mitgenommen, dass sein Onkel vor seinen Augen abgekratzt ist. Und das, wo er doch so labil ist.«
Wie täuschend harmlos sie auf den ersten Blick aussah, mit den mädchenhaften blonden Zöpfen und dem hellblauen Dirndl! Theissen dämmerte, wie sehr er sich in ihr geirrt hatte. Sie war alles andere als harmlos.
»Also, was ist jetzt?«, drängte sie. »Ãberweisen Sie mir das Geld, oder geben Sie mir einen Scheck? Je eher Sie das tun, desto schneller sind Sie mich los.«
Theissen schluckte.
»Und wenn nicht?«
Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.
»Das wollen Sie nicht wissen.«
»Doch, das will ich wissen. Und zwar ganz genau.«
Er machte einen Schritt auf sie zu, aber sie blieb ungerührt stehen. Wich keinen Millimeter zurück. Sie war vielleicht einen Kopf kleiner als er, aber für eine Frau dennoch ziemlich groà und kräftig. Und zu allem entschlossen. Für sie ging es um alles oder nichts. Plötzlich kam ihm die unangenehme Erkenntnis, dass sie ihm überlegen war. Keine gute Idee von ihm, sein Auto ausgerechnet zwischen zwei Lastern zu parken, deren Fahrer irgendwo auf das Ende des Wochenendfahrverbots warteten. Keine Menschenseele war in der Nähe, und der Lärm der Autobahn würde jeden Hilferuf übertönen.
»Für den Mord an Hirtreiter kriegt Mark höchstens zehn Jahre«, sagte sie leichthin. »Er ist ja noch minderjährig.«
Theissens Inneres krampfte sich zusammen, wilder Zorn überwältigte ihn. Diese verdammte Frau! Unbemerkt hatte sie den Spieà herumgedreht.
»Was sagen Sie da?«, knirschte er. »Was haben Sie getan?«
»Ich? Gar nichts. Aber Mark möglicherweise.« Sie grinste boshaft. »Und wenn ich nicht innerhalb von vierundzwanzig Stunden das Geld erhalten habe, dann hat Mark ein riesiges Problem.«
*
Eine Einheit der Bereitschaftspolizei durchsuchte den Pferdestall von Friederike Franzen und durchkämmte die umliegenden Wiesen, leider ohne Ergebnis. Die jungen Männer und Frauen fluchten, als sie in der Bruthitze des Sonntagnachmittags Hunderte von Stroh- und Heuballen hin- und herräumen mussten. Keine Spur von einer Waffe, von der Mark behauptet hatte, sie sei hier versteckt! Theodorakis lag tatsächlich im Krankenhaus. Seine GroÃmäuligkeit war über Nacht verschwunden, er war im wahrsten Sinne des Wortes ein zahnloser Tiger, eingeschüchtert und geständig.
Ja, er hatte Mark zum Einbruch bei der WindPro angestiftet, ja, er hatte gelogen, und sein Alibi stimmte auch nicht, denn er war Dienstagnacht nicht um kurz vor Mitternacht, sondern erst um eins bei seinen Eltern eingetroffen, vorher war er bei seiner Ex-Freundin in Kriftel gewesen. Er hatte wie ein Wasserfall geredet, aber leider hatte er nicht das gesagt, worauf Pia gehofft hatte. Vom Gewehr im Schrank von Frauke Hirtreiter wusste er nichts, ebenso wenig von Waffen auf einem Heuboden, er wollte nicht einmal gewusst haben, dass ein Schlüssel für Fraukes Wohnung im Schlüsselkasten des Tierparadieses hing.
Tief frustriert hatte Pia sein Zimmer verlassen. Cem war auch nicht viel besser gelaunt. Seine Nase war angeschwollen, er hatte Kopfschmerzen.
»Dieser kleine Mistkerl. Wahrscheinlich hab ich eine Gehirnerschütterung«, sagte er, als sie niedergeschlagen auf einer Bank vor dem Krankenhausgebäude in der Sonne saÃen und überlegten, wie sie weiter vorgehen sollten.
Pia zündete sich eine Zigarette an und streckte die Beine aus. Mark war noch nicht wieder aufgetaucht, und auch von Friederike Franzen gab es keine Spur.
»Ob Mark glaubt, dass Jannis den alten Hirtreiter und seinen Hund erschossen hat?«, überlegte Pia laut.
»Wahrscheinlich.« Cem befühlte seine Nase und zog eine Grimasse. »Diese Nika könnte es aber auch gewesen sein. Warum sonst sollte sie sich aus dem Staub gemacht haben?«
Pia blieb ihm eine Antwort schuldig. Sie wusste, wo Nika war. Was, wenn doch sie hinter dem Mord an Ludwig Hirtreiter steckte? Ob sie Bodenstein anrufen sollte? Sie zog noch einmal an der Zigarette, dann stand sie auf und drückte sie im Sand des Aschenbechers neben der Krankenhaustür aus.
»WeiÃt du was«, sagte sie zu Cem. »Ich hab keinen Bock mehr für heute. Morgen ist auch noch ein
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