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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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löschte das Licht und begleitete ihn durch die Flure, die Treppe hinunter und durch die Pforte bis hinaus auf den Hof.
    Es war eine wundervolle Frühsommernacht, die Luft weich und voller Düfte. Sein Händedruck war fest.
    Â»Bitte rufen Sie mich an, falls Sie etwas hören.«
    Â»Das werde ich.« Pia nickte. Sie blieb neben der Treppe stehen und blickte ihm mit gemischten Gefühlen nach, wie er zum Tor hinaus und zu einem dunklen Auto auf dem Besucherparkplatz ging. Verdammt, das alles war nicht ihre Sache! Sie beschloss, Bodenstein eine Warnung per SMS zu schreiben. Und dann würde sie nach Hause fahren.
    *
    Er lag auf dem Rücken und schnarchte leise mit halbgeöffnetem Mund. Das Mondlicht zeichnete einen schmalen Pfad auf den abgetretenen Teppichboden. Ihre Mutter hatte ihr die kleine Kassette ausgehändigt und hoch und heilig versichert, dass Herbert, ihr ungeliebter Stiefvater, nichts davon wusste. Sie war tief enttäuscht gewesen, als Annika ihr gesagt hatte, sie würden lieber gleich weiterfahren. Oliver hätte sich beinahe dazu überreden lassen, in einem der Gästezimmer zu schlafen, aber Annika hatte darauf bestanden, irgendwo im Auto zu übernachten, bis gegen acht Uhr die erste Fähre ging, auf der genügend Pendler mitfuhren, um nicht aufzufallen. Schließlich hatten sie in einem kleinen Hotel in Meersburg ein Zimmer genommen.
    Annika betrachtete Bodensteins Profil und empfand in einem Winkel ihres Herzens echtes Bedauern. Er war so freundlich und so gutgläubig! Beinahe erschütternd für einen Mann in seiner Position. Aber es passierte ihr nicht zum ersten Mal in ihrem Leben, dass sie falsch eingeschätzt wurde. Vielleicht lag es an ihrer zierlichen, mädchenhaften Figur, die bei den Menschen den Eindruck der Hilflosigkeit erweckte.
    Sie hatte mit ihm geschlafen, weil sie gemerkt hatte, wie sehr er in sie verliebt war. Es hatte sie keine Überwindung gekostet wie bei Jannis, unter anderen Umständen wäre es vielleicht sogar ganz angenehm gewesen, aber während Oliver sie in dem unbequemen Hotelbett mit den durchgelegenen Matratzen leidenschaftlich geküsst und geliebt hatte, hatte Annika an Dirk und die Männer in den dunklen Anzügen gedacht, denen sie am Morgen nur knapp entkommen war. Möglicherweise hatte Oliver ihren Zorn für Ekstase gehalten, es war ihr egal, Hauptsache er war glücklich. Es hatte ihr nichts bedeutet, und zwischendurch hatte sie sich bei dem Gedanken erwischt, er möge endlich fertig werden, aber das hatte er nicht bemerkt. Fünf Minuten später war er zufrieden und erschöpft eingeschlafen, und nun lag er neben ihr und träumte vielleicht von einer gemeinsamen Zukunft, die es nie geben würde.
    Annika schob die Arme unter den Kopf und starrte an die mit Nut und Feder verkleidete Zimmerdecke, als plötzlich Olivers Handy auf dem Tisch ein kurzes Brummen von sich gab. Sie wandte den Kopf. Er musste es lautlos gestellt haben, denn es leuchtete nun vor sich hin. Annika richtete sich auf, schwang die Beine über den Bettrand und schlich auf Zehenspitzen zum Tisch hinüber. Der Laminatboden knarrte unter ihren nackten Füßen, aber Olivers Atem blieb ruhig und gleichmäßig. Annika nahm das Handy und ging in das kleine Badezimmer. Pia Kirchhoff hatte ihm eine SMS geschrieben.
    Gerade war Eisenhut bei mir. Was er sagt, klingt vernünftig. Mit A stimmt was nicht. Ich mache mir Sorgen um dich! Ruf mich bitte dringend an!!! Jederzeit!!
    So eine blöde Kuh, dachte Annika verärgert. Diese Kirchhoff, auf die Oliver so große Stücke hielt, hatte sie von Anfang an nicht leiden können, und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Sie löschte die SMS , schaltete das Handy ganz aus und legte es lautlos wieder zurück auf den Tisch. Es durfte einfach nichts mehr dazwischenkommen.

Berlin-Wedding, 30. Dezember 2008
    Sie schlug die Augen auf und blinzelte benommen in das schummerige Licht einer Stehlampe in der Ecke eines Zimmers, das sie nie zuvor gesehen hatte. Wo war sie? Was war passiert? Ein dumpfer Schmerz hämmerte hinter ihrer Stirn, ihr Mund war staubtrocken. Es war kalt. Sie versuchte, den Kopf zu heben, und stöhnte unwillkürlich auf. Das war ein Hotelzimmer, zweifellos. Wie war sie hierhergekommen?
    So sehr sie sich auch bemühte, ihre Erinnerungen blieben verschwommen wie ein Alptraum, an den man sich beim Aufwachen kaum noch erinnern kann. Sie hatte zu ihrer

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