Wer Wind sät
die Luft war erfüllt vom Gelächter der Gäste und vom Duft des Flieders. Thordis war eine bezaubernde Braut, Lorenz ein Bräutigam wie aus dem Bilderbuch, dennoch erfüllte ihr Anblick Bodenstein mit Schwermut. Die Hochzeit seines Sohnes hätte für ihn ein ganz besonderes Ereignis sein sollen; oft hatten Cosima und er sich früher ausgemalt, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn das erste ihrer Kinder eines Tages heiratete. Nun war nichts so, wie er es sich vorgestellt hatte, denn sie feierten zwar gemeinsam, aber nicht zusammen. Er lehnte mit einem Glas in der Hand an der Balustrade, redete und lachte und fühlte sich inmitten seiner fröhlich feiernden Familie wie ein Fremdkörper. Sein Leben stand still, sein Blick richtete sich nur noch in die Vergangenheit. Cosima war entgegen seiner Befürchtung nicht so dreist gewesen, ihren Russen mitzubringen, und so gab es für ihn keinen Grund, das Fest vorzeitig zu verlassen. Er hatte mit ihr gesprochen, aber ihr Gespräch war so verlaufen wie alle in den letzten Monaten: kurz, oberflächlich freundlich, beschränkt auf praktische Aspekte im Zusammenhang mit den Kindern.
Ihre Untreue hatte ihn völlig unvorbereitet und aus heiterem Himmel getroffen, sein Leben aus den Fugen gehoben und komplett auf den Kopf gestellt. Cosima hatte für einen anderen Mann ihre Familie zerstört. Er erinnerte sich an die entsetzliche, demütigende Erkenntnis, dass er Cosima nicht mehr genügt hatte, nicht als Ehepartner und erst recht nicht als Mann. Er war gerade noch gut genug als Sophias Babysitter. Viele Nächte lang hatte ihn genau dieser Gedanke gequält, weit mehr als die Vorstellung, dass Cosima sich mit einem Kerl vergnügte, der gut fünfzehn Jahre jünger war als er selbst.
Bodenstein trank sein Glas aus und verzog das Gesicht. Der Champagner war mittlerweile lauwarm.
»Na, was guckst du denn an so einem schönen Tag so trüb vor dich hin?« Thordisâ Mutter, die Tierärztin Dr. Inka Hansen, lächelte und hielt ihm einen frischen Champagner hin. »Sind die zwei nicht ein hübsches Paar?«
»Allerdings.« Er ergriff das Glas und stellte das andere auf das Tablett eines vorbeigehenden Kellners. »So hätten du und ich auch aussehen können.«
Mit ihr konnte er so sprechen. Inka und er waren miteinander aufgewachsen, und obwohl sie nie ein Paar gewesen waren, hatte er eine Weile daran geglaubt, sie würden eines Tages heiraten. Das lag aber so lang zurück, dass es nicht mehr weh tat.
»Tja. Das Leben hatte etwas anderes mit uns vor.« Sie stieà ihr Glas sachte gegen seines und grinste. »Aber so finde ich es auch ganz gut. Es freut mich wirklich, dass wir jetzt doch irgendwie miteinander verwandt sind.«
Sie tranken einen Schluck, und unwillkürlich fragte er sich, ob Inka wohl mittlerweile einen Freund hatte.
»Du siehst gut aus«, stellte er fest.
»Du nicht«, erwiderte sie, trocken und direkt, wie es ihre Art war.
»Danke. Sehr nett von dir.« Er musste wider Willen grinsen.
Sie tranken ein zweites und ein drittes Glas Champagner. Cosima stand auf der anderen Seite der Terrasse. Bisher hatte sie ihm nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit geschenkt, doch jetzt blickte sie zu ihm und Inka herüber. Plötzlich erinnerte er sich, wie eifersüchtig sie eine Weile auf Inka gewesen war.
Marie-Louise rief die Hochzeitsgesellschaft zum Essen, und Bodenstein stellte erfreut fest, dass man ihn als Vater des Bräutigams zwischen der Braut und ihrer Mutter platziert hatte. Er rückte Inka den Stuhl zurecht und lachte über eine Bemerkung, die sie machte. Cosima saà auf der anderen Seite des Brautpaares. Als sich ihre Blicke kurz begegneten, lächelte er ihr zu, nur um sich gleich wieder Inka zuzuwenden. Mit einem Mal gefiel ihm der Tag, und in ihm keimte die winzige Hoffnung, dass die Wunde, die Cosima ihm zugefügt hatte, irgendwann heilen würde.
*
Pia hatte Cem das Steuer überlassen, weil sie telefonieren musste. Aus Kostengründen waren die Dienstfahrzeuge der Polizei noch immer nicht mit Freisprechanlagen ausgerüstet, was sie dazu zwang, beim Fahren zu telefonieren, wenn sie allein im Wagen war. Besonders grotesk wurde es mitunter, wenn man per Handy Kollegen über telefonierende Autofahrer informierte. Zuerst sprach sie mit Kröger, der ihr bestätigte, dass es an keiner Tür des WindPro-Firmengebäudes
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