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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Leseratte sein und die Bücher gekauft haben, nachdem sie bei ihnen eingezogen war, denn sie wirkten alle noch ziemlich neu.
    An den weiß gestrichenen Wänden hingen mehrere Bilder, wie Ricky sie aus den Baumärkten, in denen sie Stammkundin war, regelmäßig anschleppte: toskanische Landschaften, billige Reproduktionen bekannter Kunstwerke. Diese Art Kunst pflasterte jede Wand im ganzen Haus und war Jannis ein Graus, aber sie gehörte zum Einrichtungsstil, den Ricky mochte. Er ging zu der Schrankwand hinüber und öffnete eine der Türen. Ordentlich hingen dort Nikas seltsame Blümchenkleider, Röcke und Strickjacken. Jannis zog die Schubladen auf und durchwühlte ohne jedes schlechte Gewissen deren Inhalt: schlichte, weiße Baumwollunterwäsche, hautfarbene Bügel- BH s Größe 75 B, weiße und graue Socken. Keine Netzstrümpfe, keine sündigen Dessous, sondern genau das, was er erwartet hatte. Nika gehörte nicht zu der raffinierten Sorte Frau.
    Er wandte sich der nächsten Schranktür zu, hinter der sich jedoch nur die beiden Koffer befanden, mit denen sie aufgetaucht war. Nichts. Mit einem leisen Anflug von Enttäuschung wollte er die Schranktüren schließen, als er unter einer zusammengefalteten Wolldecke die Ecke einer ledernen Reisetasche erblickte. Er bückte sich, zog die Tasche, die erstaunlich schwer und prall gefüllt war, hervor und befühlte das abgenutzte Leder. Auch wenn er kein Fachmann war, erkannte er die hohe Qualität des Materials. Mit wachsender Ungeduld zerrte er an den Schnallen der beiden Lederriemen, bis sie endlich nachgaben. Er klappte die Tasche auf.
    Â»Aber hallo«, murmelte er, als er auf einen Laptop stieß. Ein MacBook. Und sogar ein iPhone besaß sie, die geheimnistuerische Frau Untermieterin! Er fand einen Schlüsselbund, ein Kästchen mit Schmuck und ein Portemonnaie, in dem Führerschein, Personalausweis, Reisepass und allerhand Bank- und Kreditkarten steckten.
    Wieso verstellte Nika sich vor Ricky und ihm? Einen Moment hielt er inne und dachte nach. Wusste Ricky gar über sie Bescheid und spielte diese Posse mit? Aber warum? Das war alles wirklich höchst eigenartig. Jannis begutachtete die wenigen Kleidungsstücke, die sich in der Reisetasche befanden. Jeans, Blusen, zwei Blazer, zwei Paar Pumps. Plötzlich zuckte er zusammen, als habe er sich verbrannt. Er starrte in die Tasche und schnappte fassungslos nach Luft. Was auch immer er zu finden geglaubt hatte, damit hatte er ganz sicher nicht gerechnet.
    *
    Pia bremste hinter dem Streifenwagen, der vor dem Tor einer Doppelgarage stand, stieg aus und sah sich um. Der Rabenhof lag etwa zwei Kilometer oberhalb von Ehlhalten am Waldrand, inmitten frühlingsgrüner Wiesen, über denen der Frühnebel hing. Der geschotterte Weg reichte nur bis zu der etwas zurückliegenden Scheune, der asphaltierte Wirtschaftsweg machte vor dem Hof einen scharfen Knick und führte weiter aufwärts Richtung Wald. Pia betrat den Hof und blieb stehen. Das Wohnhaus, eine im oberbayrischen Stil mit verwittertem Holz verkleidete Hässlichkeit, unter dessen Giebel ein mächtiges Hirschgeweih prangte, besaß eine zurückgesetzte Galerie und eine umlaufende Veranda, auf deren Stufen zu Pias großer Erleichterung Graf Heinrich von Bodenstein saß, blass, aber augenscheinlich unversehrt. Gott sei Dank, er lebte! Pia kannte den Vater ihres Chefs von flüchtigen Begegnungen als einen würdevollen älteren Herrn. Es fiel ihr schwer, den Mann, der mit wirrem, weißem Haar und starrem Blick zusammengesunken auf den hölzernen Stufen kauerte, mit dieser Erinnerung in Einklang zu bringen.
    Ihr Chef war von der Situation sichtlich überfordert, ihn schien der ungewohnte Anblick seines Vaters noch mehr zu irritieren. Steif und unbehaglich stand er da und suchte wohl vergeblich nach Worten des Trostes. Natürlich kam es für ihn nicht in Frage, den Vater einfach zu umarmen, das wusste Pia, denn Herzlichkeit und Empathie waren in Bodensteins strenger Erziehung zugunsten von Selbstbeherrschung und Rücksichtnahme vernachlässigt worden. Seine Hilflosigkeit war kaum verwunderlich.
    Â»Pia«, sagte er erleichtert und kam ihr entgegen. »Der Tote war der beste Freund meines Vaters. Er hat ihn vor etwa einer Stunde gefunden und steht jetzt völlig unter Schock.«
    Â»Das kannst du ihm ja wohl nicht verdenken«, antwortete Pia. »Was

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