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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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sagt er?«
    Â»Nichts.« Bodenstein hob die Schultern. »Ich … ich weiß auch nicht so recht, was ich sagen soll.«
    Â»Ich mach das schon.«
    Pia beauftragte die beiden Streifenbeamten, die sich in respektvollem Abstand hielten, damit, den Schotterweg abzusperren, damit keine Reifenspuren vernichtet wurden. Als sie verschwunden waren, wandte sie sich an Bodensteins Vater.
    Â»Wie geht es Ihnen?« Sie setzte sich neben ihn auf die klamme Holzstufe und legte mitfühlend die Hand auf seinen Arm.
    Der alte Mann seufzte, dann hob er den Kopf und blickte sie aus stumpfen Augen an.
    Â»Ludwig war mein ältester Freund«, erwiderte er heiser. »Es ist einfach entsetzlich, dass er auf diese Weise sterben musste.«
    Â»Das tut mir schrecklich leid.« Pia nahm seine knochige Hand und drückte sie vorsichtig. »Ich werde meine Kollegen bitten, Sie nach Hause zu fahren.«
    Â»Danke, aber ich habe mein Auto dabei …«, begann er, plötzlich schwankte seine Stimme. »Tell liegt auch da oben. Direkt neben Ludwig. Ein Fuchs … der Fuchs hat … er hat …«
    Er verstummte, legte seine freie Hand über die Augen und kämpfte um Fassung. Pia blickte auf und begegnete dem indignierten Blick ihres Chefs. Schämte er sich etwa, weil sein Vater Gefühle zeigte? Sie bedeutete ihm mit einer stummen Kopfbewegung, sie alleine zu lassen. Er verstand und machte sich auf den Weg zur Leiche.
    Â»Wer liegt auch da oben?«, fragte Pia leise, als ihr Chef außer Hörweite war. »Und was war mit dem Fuchs? Möchten Sie es mir erzählen?«
    Der alte Graf nickte stumm, sie spürte, wie er schauderte. Es dauerte noch eine Weile, bis er stockend anfing zu sprechen.
    Â»Ludwig sitzt da oben. Und neben ihm liegt Tell, sein Hund. Alles ist … ist voller Blut.« Seine Stimme schwankte.
    Â»Entschuldigen Sie«, flüsterte er undeutlich. Einen Moment lang kämpfte er noch um seine Beherrschung, doch dann brachten Kummer und Schock die Staumauer seiner Contenance zum Bersten. Pia hielt tröstend seine Hand und ließ den alten Mann um seinen ermordeten Freund weinen.
    *
    Der Tote saß im hohen Gras, mit dem Rücken an einen knorrigen Kirschbaum gelehnt, der bereits die meisten seiner Blüten verloren hatte. Wäre da nicht die silberne Löwenmähne gewesen, die feucht und schlaff um seinen Kopf hing, so hätte Bodenstein den alten Freund seines Vaters nicht erkannt, denn anstelle des Gesichts war da nur noch eine dunkle formlose Masse aus zerfetztem Fleisch, gesplitterten Knochen und geronnenem Blut. Ein weiterer Schuss hatte Hirtreiters Unterleib in Brei verwandelt. Der leblose Körper war mit Blütenblättern bedeckt wie von einem rosafarbenen Leichentuch, ein groteskes Bild. Direkt neben ihm, die Schnauze auf seinem Knie, lag ein großer graubrauner Jagdhund, dem der halbe Brustkorb fehlte. Der Blutspur nach zu urteilen hatte sich das sterbende Tier noch mit letzter Kraft zu seinem toten Herrchen geschleppt.
    Â»Puh«, stieß Pia hervor. »Das ist ja wirklich entsetzlich. Dein armer Vater.«
    Bodenstein reagierte nicht auf ihre Bemerkung und ging in die Hocke.
    Â»Ich tippe auf eine Schrotflinte aus höchstens fünf Metern Entfernung«, sagte er so sachlich wie möglich. Der Zustand seines Vaters hatte ihn weitaus tiefer erschüttert als der Anblick von Hirtreiters Leiche, und er war nicht in der Lage gewesen, ihm wenigstens ein paar Worte des Trostes zu spenden. Wie so oft hatte er sich feige in die Routine geflüchtet. Aber vielleicht, so versuchte er sich zu überzeugen, war es seinem Vater auch nur recht gewesen, denn in der Familie Bodenstein zeigte man keine Schwäche.
    Â»Hat … hat mein Vater irgendetwas gesagt?«, fragte er, als Pia schwieg.
    Â»Nicht viel. Es ist ihm echt an die Nieren gegangen«, antwortete sie. »Hast du den Toten auch gekannt?«
    Â»Natürlich.« Bodenstein richtete sich wieder auf. »Ludwig Hirtreiter war der beste Freund meines Vaters.«
    Er erinnerte sich an seine Kindheit. Seine Geschwister und er hatten die Ausflüge zum Rabenhof geliebt. Onkel Ludwig konnte herrliche Geschichten erzählen, und Tante Elfi hatte immer irgendeinen Kuchen gebacken. Nach ihrem Tod hatte Ludwig Hirtreiter sich verändert. Bitter war er geworden, bösartig. Selbst sein Vater hatte über sein ruppiges Verhalten oft den Kopf

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