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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Platz.
    Erwartungsvolle Stille senkte sich über die Sitzreihen, dann ergriff Bürgermeister Reinhold Herzinger als Gastgeber der Veranstaltung das Wort. Er bedankte sich für das große Interesse der Bürgerinnen und Bürger und stellte Frau Dr. Neumann-Brandt vom Hessischen Umweltministerium, Herrn Dr. Theissen von der WindPro GmbH, Jannis Theodorakis und Klaus Faulhaber, als Vorstandsmitglieder der Bürgerinitiative, vor.
    Â»Dieser Abend wird von einem schrecklichen Ereignis überschattet«, sagte er dann mit gemessenem Ernst in der Stimme. »Der langjährige Stadtverordnetenvorsteher unserer Gemeinde, unser geschätzter Freund und Weggefährte Ludwig Hirtreiter, wurde in der vergangenen Nacht Opfer eines abscheulichen Gewaltverbrechens. Wir sind fassungslos und tief erschüttert. Bitte erheben Sie sich, verehrte Damen und Herren, und lassen Sie uns Ludwig mit einer stillen Gedenkminute ehren.«
    Hüstelnd, raschelnd und murmelnd erhoben sich dreihundert Menschen, die Stuhlbeine der ineinandergehakten Stühle schrammten über den Boden. Es dauerte eine Weile, bis Ruhe einkehrte.
    Â»Geschieht ihm recht, dem alten Mistkerl«, sagte jemand in die Stille.
    Er erntete empörtes Zischen, dann aber nahm das Kichern in den Reihen überhand.
    *
    Er machte sich Sorgen. Ricky hatte schlecht ausgesehen, vorhin. Wieso ging es ihr bloß so an die Nieren, dass der scheiß Hirtreiter tot war? Eigentlich konnte sie doch froh sein, so, wie dieser Arsch sie neulich behandelt hatte!
    Mark schloss den letzten Hundeauslauf hinter sich ab und schob die bis zum Rand gefüllte Schubkarre zum Container. Da Frauke anderes zu tun hatte und Ricky auf der Bürgerversammlung in Ehlhalten war, auf der er sich nicht sehen lassen durfte, hatte Mark freiwillig die Spätschicht im Tierheim übernommen. Er hatte schon oft dabei geholfen und wusste, was zu tun war. Alle Hunde, Katzen, Schildkröten, Meerschweinchen und Kaninchen hatten frisches Wasser und waren gefüttert, er hatte die Hunde in ihre Zwinger gebracht und dann die Ausläufe gereinigt.
    Am Morgen war ein Neuzugang eingetroffen: ein alter Jack-Russell-Terrier, den seine herzlosen Besitzer einfach ausgesetzt hatten. Mark ging noch einmal ins Hundehaus und schloss den Zwinger auf, in dem der Terrier trübsinnig auf seiner Decke lag. Der Hund hob erwartungsvoll den Kopf, ließ ihn aber gleich wieder enttäuscht sinken, als er Mark erkannte. Der arme Kerl verstand die Welt nicht mehr! Plötzlich saß er hinter Gittern, um ihn herum nur Fremde. Wie konnten Menschen ihrem Haustier, das so lange ihr Leben geteilt hatte, so etwas Grausames antun?
    Mark setzte sich auf den grauen Kunstharzboden und streckte die Hand aus. Der Hund blickte ihn skeptisch an, ließ aber zu, dass Mark ihn sanft hinter den Ohren kraulte. Seine Augen waren alterstrüb, seine Schnauze grau.
    Â»Deine Leute sollte man auch einfach irgendwo aus dem Auto schmeißen«, sagte Mark leise. »Du bist doch so ein süßer Kerl, auch wenn du ein bisschen alt bist.«
    Der Hund spitzte die Ohren und wedelte ganz leicht mit der Schwanzspitze. Er verstand den freundlichen Tonfall, robbte näher an Mark heran und schmiegte sich an dessen Oberschenkel. Mark lächelte traurig. Er mochte gerade die Hunde, die alt oder nicht so schön waren. Alles, was sie wollten, waren ein liebevolles Zuhause und Zuneigung, sie wollten jemandem vertrauen können. Genauso wie er selbst. Der Jack-Russell-Terrier schloss die Augen, streckte sich und knurrte genüsslich.
    Was machten seine Besitzer wohl jetzt? Waren sie in den Urlaub gefahren, oder hatten sie sich einen jüngeren Hund zugelegt? Wie konnten sie bloß ruhig schlafen?
    Â»Wir finden für dich ganz schnell ein schönes neues Zuhause«, versprach Mark dem Hund. »Du musst nicht lange hierbleiben.«
    Am liebsten hätte er ihn selbst mit nach Hause genommen, aber das ging ja nicht, wegen seiner allergischen Schwestern.
    Er seufzte, lehnte den Kopf gegen die Wand und dachte wieder an Ricky. Das, was er getan hatte, quälte ihn entsetzlich. Er war doch nicht scharf auf Ricky! Sie war für ihn wie … na ja, nicht gerade wie eine Mutter, eher wie eine … tolle große Schwester. Jannis hatte sie gar nicht verdient. Er sah nicht, wie schlecht es ihr ging, wie traurig und niedergeschlagen sie war. Wusste er nicht, welche Rückenschmerzen sie ständig plagten?

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