Wer Wind sät
Einsatzleiter hatte noch keinen Erfolg zu vermelden. Rings um den Fundort von Hirtreiters Leiche und im nahen Wald hatte man dank des Metalldetektors zwar jede Menge Schrott aufgelesen, aber kein Gewehr und keine Pistole. Die Beamten der Hundertschaft suchten jetzt ein Stück weiter oben am Waldparkplatz, überall auf dem Hof und an der StraÃe, die hinunter ins Dorf führte.
Die beiden Taucher platschten mit ihren Taucherflossen über den kurzen hölzernen Steg, setzten sich hin und lieÃen sich ins Wasser gleiten. Der Regen wurde heftiger. Pia stülpte die Kapuze ihrer Windjacke über die Baseballkappe und beobachtete, wie die Regentropfen die Wasseroberfläche kräuselten. Die Jeans klebte nass an ihren Beinen, und die Windjacke hielt auch nicht das, was der Hersteller versprochen hatte. Schweigend starrten sie auf den kleinen See. Die Taucher gaben bereits nach einer Viertelstunde auf.
»Die Sicht in dieser Brühe ist gleich null«, sagte der eine. »Und der Boden eine einzige Schlammschicht. Wenn da irgendetwas Schweres reinfällt, versinkt es sofort. Tut mir leid.«
»Trotzdem, danke«, entgegnete Pia. »Es war einen Versuch wert.«
Auf einmal kam etwas Dunkles im Tiefflug auf sie zugesaust, mit einem Satz brachte sie sich hinter Cems Rücken in Deckung.
»Was war das?«
»Eine Krähe oder so was.« Cem blickte sich um. Der schwarze Vogel war auf einem Ast des Kirschbaumes gelandet, unter dem Hirtreiters Leiche gelegen hatte, und schaute sie hochmütig an. Er öffnete seinen Schnabel, schlug mit den Flügeln und krächzte. Pia bekam eine Gänsehaut.
»Das ist ein Rabe«, korrigierte sie ihren Kollegen. »Raben sind gröÃer als Krähen und haben gebogene, schwarze Schnäbel, keine spitzen, grauen.«
»Krähe, Rabe. Egal.« Cem zuckte die Schultern. »Komm, wir fahren. Mir ist schweinekalt.«
»Nein, warte noch. Hirtreiter besaà einen zahmen Raben.« Pia betrachtete den groÃen Vogel, der nun ganz ruhig dasaà und ihren Blick erwiderte. »Wieso sitzt er ausgerechnet auf diesem Baum?«
»Zufall?«, schlug Cem vor.
»Nein«, erwiderte Pia. »Das glaube ich nicht.«
»Jetzt sag bitte nicht, du glaubst, der Rabe will eine Aussage machen.« Das klang belustigt.
»Doch.« Pia nickte ernst. »Genau das ist mir eben durch den Kopf gegangen. Raben sind superintelligent. Und Hirtreiter hatte ihn viele Jahre lang.«
»Leider fällt er als Zeuge aus. Es sei denn, er identifiziert den Mörder bei einer Gegenüberstellung.«
Pia sah, dass ihr Kollege mühsam ein Grinsen unterdrückte.
»Du machst dich über mich lustig«, warf sie ihm vor, musste dann aber selbst grinsen. »Es hat schon die verrücktesten Sachen gegeben.«
»Klar, Agent Scully«, sagte Cem mit gutmütigem Spott. »Im Fernsehen. Aber nicht in der Realität. Sonst hätten wir es ja auch viel zu leicht.«
*
»Musste das sein?« Kriminalrätin Dr. Engel schüttelte den Kopf. Sie saà hinter ihrem Schreibtisch, die Lesebrille auf der Nasenspitze, und bot Bodenstein keinen Platz an. »Der Anwalt der Familie Hirtreiter hat sich bei mir in schärfster Form beschwert. Er behauptet, es habe sich um eine unzulässige Vernehmungsmethode im Sinne des § 136 a der S t PO gehandelt. Wieso hast du sie gezwungen, sich die Leiche anzusehen?«
»Sie haben alle drei ein Motiv«, entgegnete Bodenstein. »Ein drei Millionen Euro starkes Motiv. Und leider wussten sie schon Bescheid, als Frau Kirchhoff und ich ihnen die Nachricht vom Tod ihres Vaters überbringen wollten.«
»Wieso?«
Bodenstein seufzte.
»Mein Vater hat die Leiche gefunden. Er war der beste Freund des Toten und hat dessen Kinder angerufen. Ich konnte es leider nicht verhindern.«
»Hast du ihre Alibis schon überprüft?«
Dr. Engel machte eine auffordernde Geste in Richtung Besucherstuhl. Ende der obligatorischen Machtdemonstration. Bodenstein setzte sich.
»Wir haben noch keinen exakten Todeszeitpunkt, deshalb war das bisher nicht möglich, aber zumindest die Tochter war am Tatabend auf dem Hof ihres Vaters. Das hat sie mir allerdings erst gesagt, als sie erfuhr, dass sie gesehen worden war. Angeblich wollte sie nur nach dem Rechten schauen. Und angeblich hat sie ihn auch nicht mehr angetroffen, dafür habe aber ein fremdes Auto mit laufendem Motor ein paar Minuten
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