Wer Wind sät
war sie in eines ihrer schicken Häuser eingeladen worden, bei keinem der Blagen hatte man sie gebeten, die Patenschaft zu übernehmen â warum auch? Sie würde keine groÃzügigen Geschenke machen können, und darauf kam es ihren versnobten Schwägerinnen an.
»Ihr werdet euch wundern, ihr blöden Arschlöcher«, murmelte sie.
Es war bereits dämmerig, in einer halben Stunde würde es stockdunkel sein, und das passte Frauke gut. Vom Dorf her klang Sirenengeheul an ihr Ohr, irgendetwas war da unten los. Egal. Sie keuchte, als sie nun das schwere Rosengitter zur Seite hievte und gegen die Hauswand krachen lieÃ. Dahinter kam eine schmale, rostige Tür zum Vorschein. Aus ihrer Jackentasche förderte sie eine Dose Teflonspray zutage. Zwei SprühstöÃe in das Schloss, schon lieà sich der Schlüssel problemlos hineinstecken und drehen. Die Tür klemmte etwas, Frauke rüttelte und zog, bis sie mit einem mörderisch lauten Quietschen aufsprang und ihr eine Wolke von Staub und Rostpartikeln entgegenstob. Sie schüttelte sich den Dreck aus den Haaren und betrat die ehemalige Vorratskammer. Der kleine Raum roch nach Schimmel und Moder und Mäusedreck. Frauke tastete nach dem Lichtschalter, die nackte Glühbirne an der Decke flammte auf. Die Tür zur Küche war nicht abgeschlossen. Noch reichte der Rest an Tageslicht, um sich im Haus zurechtzufinden. Zielstrebig stampfte sie die verstaubte Holztreppe hinauf in den ersten Stock. Sie wusste genau, wo sie suchen musste, denn eine fünfzigjährige Angewohnheit legte man im Alter nicht mehr ab, und Frauke kannte die Marotten ihres Vaters.
Der Dielenboden knarrte unter ihrem Gewicht, als sie das kleine Gästezimmer unter dem Dach betrat, das seit Jahrzehnten keinen Gast mehr beherbergt hatte. Sie öffnete die Tür des Tapetenschranks und zerrte die stockig riechende Bettwäsche aus dem obersten Fach. Ihre Finger berührten die Blechkassette. Sie nahm sie heraus, stopfte das Bettzeug zurück in den Schrank und schloss die Schranktüren. Den Schlüssel für die Kassette bewahrte der Vater im Sockel der geschnitzten Madonna in seinem Schlafzimmer auf.
Frauke machte sich auf den Weg nach unten. Sie war von der Anstrengung schweiÃgebadet, aber hochzufrieden. Zu gerne hätte sie die Gesichter ihrer Brüder gesehen ⦠Sie blieb stehen. Was war das für ein Geräusch gewesen? Ihr fiel ein, dass sie vergessen hatte, die Tür hinter sich zu schlieÃen. Jemand musste ins Haus gekommen sein. Mit angehaltenem Atem verharrte Frauke auf dem Treppenabsatz und lauschte in die Dunkelheit. Die Attacke kam wie aus dem Nichts. Etwas Schwarzes raste auf sie zu.
Sie lieà vor Schreck die Kassette fallen, machte einen unbedachten Schritt nach vorn und verlor das Gleichgewicht. Ein paar Sekunden ruderte sie noch verzweifelt mit den Armen, dann stürzte sie die steile Holztreppe hinunter, brach durch das altersschwache Geländer und krachte mit dem Kopf gegen den Rahmen der Schlafzimmertür.
*
Keuchend stützte sie sich mit einer Hand an der Mauer ab und rang nach Luft. Der Mann, den sie unter Aufbietung aller Kräfte aus dem Saal gezerrt hatte, saà auf dem Boden und presste seine Hand gegen eine heftig blutende Kopfwunde.
»Sind Sie okay?«, fragte Pia.
»Ja, ja. Danke«, murmelte der Bürgermeister benommen. »Was ist eigentlich passiert?«
»Sie wollten sich unbedingt mit ein paar Jugendlichen prügeln«, erwiderte Pia. »Und die hätten Sie fast in Stücke gerissen!«
Der Bürgermeister hob den Kopf und blickte Pia an.
»Sie ⦠Sie haben mir das Leben gerettet.« Seine Stimme zitterte. Aus der Tür quollen immer mehr Menschen, schnappten nach Luft oder stolperten in die Dunkelheit davon. Sirenen ertönten, am Vordereingang auf der anderen Seite der Halle zuckten Blaulichter. Zwei Männer in Anzügen kamen näher. Suchend blickten sie in die Gesichter der Menschen, die auf dem Boden saÃen.
»GroÃer Gott, Chef, da sind Sie ja!«, rief einer der beiden beim Anblick des Bürgermeisters.
»Könnten Sie sich bitte um ihn kümmern.« Pia schloss aus seinen Worten, dass er nicht zu den Tomatenwerfern gehörte. »Er braucht einen Arzt.«
»Natürlich«, erwiderte der junge Mann. Er und sein Kollege hievten den ramponierten Bürgermeister auf die Beine und zogen mit ihm ab. Pia fiel ein, dass
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