Wer Wind sät
ihr eigentlicher Grund für den Besuch der Versammlung Theodorakis gewesen war. Den hatte sie in dem ganzen Chaos kurzfristig vergessen. Sie versuchte, sich zu orientieren. Hinter ihr befand sich der Notausgang neben der Bühne, durch den auch Stefan Theissen und die Frau vom Umweltministerium geflüchtet waren. Wo waren die beiden hin? Pia blickte sich suchend um. Theodorakis war noch auf der Bühne gewesen, als sie den Bürgermeister ins Freie geschleppt hatte. Ob es auf der anderen Seite der Halle noch einen Ausgang gab? Es war mittlerweile dunkel geworden, ein Strahler unter dem Hallendach erhellte den gepflasterten Platz nur notdürftig. Sie nahm ihr Handy aus der Tasche, lief los und wählte Bodensteins Nummer. Keine Antwort. Mehrstimmiges Sirenengeheul näherte sich, und Pia steckte das Handy wieder weg. Bei dem Lärm in der Halle würde ohnehin keiner ihrer Kollegen das Klingeln hören. Wie hatte es nur so weit kommen können? Sie ging weiter Richtung Haupteingang, als ihr Blick auf zwei Männer fiel, die auf dem Parkplatz neben einem Auto standen und sich zu streiten schienen. Ein Lichtstrahl lieà Brillengläser aufblitzen.
Theodorakis! Der Schweinehund wollte sich einfach verdrücken, statt sich von Bodenstein vernehmen zu lassen. Sie beschleunigte ihre Schritte. In dem Moment drehte der andere Mann Theodorakis den Arm auf den Rücken. Das sah nicht unbedingt nach einem netten Gespräch aus. Pia rannte los und zog ihre Pistole aus dem Schulterhalfter.
»Polizei!«, rief sie laut. »Lassen Sie den Mann los!«
Der Mann gehorchte und fuhr herum. Erstaunt erkannte Pia, um wen es sich handelte.
»Was tun Sie da, Herr Theissen?«, sagte sie scharf.
»Das geht Sie überhaupt nichts an«, antwortete der Chef der WindPro nicht weniger scharf. Er brachte seinen Anzug in Ordnung und rückte die Krawatte zurecht.
»Wir sprechen uns noch«, zischte er Theodorakis zu und verschwand zwischen den geparkten Autos.
Theodorakis hockte keuchend auf allen vieren auf dem Boden. Blut sickerte aus seiner Nase und tropfte über sein Kinn. Pia steckte ihre Pistole weg.
»Wollten Sie abhauen?«, fragte sie kühl.
»Nein, das wollte ich nicht.« Theodorakis tastete den Boden um sich herum ab. »Dieser Irre wollte mich umbringen! Den zeig ich an, dieses gewalttätige Arschloch.«
Er hatte seine Brille gefunden, setzte sie auf und kam mit einem Stöhnen auf die Beine. Mit schmerzverzerrtem Gesicht lehnte er sich gegen den Kofferraum eines Autos und befühlte seine Nase.
»Der hat mir echt die Nase gebrochen«, jammerte er. »Sie sind meine Zeugin, dass er mich angegriffen hat!«
»Genaugenommen habe ich nicht gesehen, wer wen angegriffen hat«, erwiderte Pia. »Aber wundert Sie wirklich, dass Theissen sauer auf Sie ist, nach allem, was Sie ihm vorgeworfen haben?«
»Ich habe nur die Wahrheit gesagt«, erwiderte Theodorakis theatralisch. »Aber in diesem Land ist es ja lebensgefährlich, die Wahrheit zu sagen.« Er presste den Handrücken unter seine Nase und betrachtete anschlieÃend das Blut an seiner Hand.
Pia beschloss, die Situation auszunutzen. Menschen, die unter Schock standen, fehlte meist die Geistesgegenwart, um spontan zu lügen.
»Woher hatten Sie die Gutachten, die Theissen angeblich hatte fälschen lassen?«, fragte sie.
»Was heiÃt hier âºangeblichâ¹?«, fuhr Theodorakis auf. Von Schock keine Spur. »Ich habe Beziehungen. Auch bei der WindPro arbeiten ein paar anständige Leute.«
*
Seine Hand zitterte, als er das zerzauste blonde Haar zur Seite schob. Dann setzte mit der Gewalt eines Schmiedehammers sein Herzschlag wieder ein. Das war nicht Pia! Bodenstein legte seine Finger an den Hals der jungen Frau und suchte die Halsschlagader. Gleichzeitig wandte er sich um.
»Kommen Sie hierher!«, rief er zwei Sanitätern zu, die auf der Suche nach weiteren Verletzten unter den Stuhltrümmern waren. »Die Frau ist bewusstlos!«
Er richtete sich auf, wankte einen Schritt zurück, um den beiden Männern Platz zu machen. Sein Blick irrte hin und her. Noch immer saÃen und standen Leute in der Halle, fassungsloses, sprachloses Entsetzen in den Gesichtern. Bodenstein arbeitete sich durch das Gewirr umgestürzter Stühle. Was er heute Abend erlebt hatte, würde ihn nie mehr loslassen. Obwohl er schon einige gefährliche Situationen gemeistert hatte,
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