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Wer Wind sät

Wer Wind sät

Titel: Wer Wind sät Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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schief.
    Â»Wie siehst du denn aus?«
    Bodenstein blickte an sich herunter. Das Hemd hing ihm aus der Hose, der Ärmel seines Jacketts war halb abgerissen, er hatte nicht einmal bemerkt, dass er keine Schuhe mehr anhatte. Die Realität holte ihn ein.
    Â»Ich … ich war mittendrin«, sagte er dumpf. »Und du? Wo warst du? Ich habe dich auf einmal aus den Augen verloren.«
    Â»Ich habe den Bürgermeister aus der Halle gebracht. Die hätten ihn sonst in Stücke gerissen. Außerdem habe ich Theodorakis erwischt, der wäre sicher abgehauen, wenn Theissen ihn nicht verprügelt hätte. Ich konnte gerade noch Schlimmeres verhindern.«
    Â»Wo ist Theodorakis jetzt?«
    Â»Wartet in einem Streifenwagen.«
    Jetzt, da Bodenstein bewusst wurde, dass er keine Schuhe trug, spürte er die Kälte der Pflastersteine durch die dünnen Socken. Sein Adrenalinspiegel sackte ab, er begann zu frösteln. Plötzlich war er unendlich müde und ließ sich wieder auf den Rand des Betonblumenkübels sacken.
    Â»Komm.« Pia berührte ihn am Arm. »Lass uns erst mal deine Klamotten suchen, und dann fahren wir nach Hofheim.«
    Â»Wie konnte das nur passieren?« Er rieb sich mit beiden Händen das Gesicht. Ihm war flau, sein ganzer Körper schmerzte. Den ganzen Tag nichts gegessen, dann dieses Horrorerlebnis und seine Angst um Pia. Sie kramte in ihren Taschen, hielt ihm ein Päckchen Zigaretten hin.
    Â»Willst du eine?«, fragte sie.
    Â»Ja. Danke.« Pia gab ihm Feuer. Er rauchte ein paar Züge.
    Â»Meinst du, die Imbissbude in Königstein am Parkplatz hat noch auf?«, fragte er unvermittelt. »Ich könnte jetzt einen Döner vertragen. Und Pommes mit Mayo und Ketchup.«
    Pia starrte ihn an.
    Â»Du hast einen Schock«, konstatierte sie.
    Â»Vor ein paar Minuten ist eine Menschenmenge über mich hinweggetrampelt«, sagte er und zog an der Zigarette. »Ich dachte, mein letztes Stündlein hat geschlagen und ich muss sterben. Und weißt du, was ich in dem Moment gedacht habe?«
    Â»Erzähl es mir später.« Pia schien zu befürchten, er würde ihr jetzt irgendein tiefschürfendes intimes Geständnis machen, aber er fing an zu lachen. Es war alles so grotesk! Knapp dem Tod entronnen saß er nun hier, ohne Schuhe, mit zerfetzten Kleidern, und dachte ans Essen! Er lachte, bis er Seitenstechen bekam.
    Â»Ich … ich dachte …«, keuchte er, »ich dachte, wie hört sich das wohl an, wenn der Pfarrer auf meiner Beerdigung sagt: Oliver von Bodenstein starb in der Dattenbachhalle in Ehlhalten zwischen Tomaten und Eiern!«
    Er verbarg das Gesicht in den Händen und konnte nicht aufhören zu lachen, obwohl er lieber geheult hätte.
    *
    Heinrich von Bodenstein fühlte sich so hilflos wie der Passagier eines sinkenden Schiffes, nachdem der Kapitän von Bord gegangen war. Alles war so gründlich schiefgelaufen, wie er es sich in seinen schlimmsten Alpträumen nicht hätte ausmalen können. Ludwig hatte recht gehabt. Man hätte sich niemals darauf einlassen dürfen, Jannis mit aufs Podium zu nehmen! Mit seinen Provokationen hatte er die ohnehin schon aufgeheizte Stimmung im Saal zum Überkochen gebracht und das Durcheinander ausgelöst, statt zu beschwichtigen. Und jetzt war er wie vom Erdboden verschwunden! Auf der Suche nach seinem Sohn und den Mitstreitern der Bürgerinitiative irrte Bodenstein senior durch das grelle Scheinwerferlicht, mit dem die Einsatzwagen der Feuerwehr und des THW die Dunkelheit erhellten. Überall standen Rettungs- und Streifenwagen mit blinkenden Lichtern.
    Ob Jannis die Jugendlichen dazu angestiftet hatte, Randale zu machen und mit Tomaten zu werfen? Heinrich von Bodenstein wollte das nicht glauben, aber er erinnerte sich an Ludwigs Äußerung, Jannis’ übersteigerter Geltungsdrang sei gefährlich.
    Er bog um die Ecke und traute seinen Augen nicht, als er sah, was sich auf dem Vorplatz vor der Halle abspielte. Hinter der Polizeiabsperrung drängten sich in grenzenloser Sensationsgier Neugierige und Presseleute.
    Niemand hielt ihn auf, als er das Foyer betrat. Neben dem Tisch, auf dem die Unterschriftenlisten ausgelegen hatten, zeichnete sich unter einer Rotkreuzdecke ein menschlicher Körper ab. Der Einsatzleiter der Feuerwehr, ein Jagdgenosse Bodensteins, kam mit grauem Gesicht auf ihn zu.
    Â»Schau dir das lieber nicht an, Heinrich«,

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