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Werden sie denn nie erwachsen?

Werden sie denn nie erwachsen?

Titel: Werden sie denn nie erwachsen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Freischütz
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keineswegs verlockend als Rastplatz.
    »Hier würde ich mich zu Tode graulen«, wehrte Steffi ab, als ich auf eine Waldschneise deutete, die malerisch von vereinzelten Sonnenstrahlen beschienen war.
    »Dann eben nicht! Mal werden die Bäume ja aufhören.«
    Das taten sie auch, und gleich dahinter führte ein Weg nach rechts. »Campingplatz« stand auf einem Schild.
    »Den sehen wir uns mal an«, beschloß meine Chauffeuse, »vielleicht bleiben wir da. Um diese Jahreszeit ist der bestimmt noch nicht überfüllt.«
    Das war er wirklich nicht, genaugenommen war er noch nicht einmal geöffnet. Das hatte jedoch eine Großfamilie nicht daran gehindert, sich häuslich niederzulassen. Sie mußte schon länger dort leben, denn der Abfallberg hinter dem letzten Zelt hatte eine beachtliche Höhe erreicht.
    »Sind das nicht Zigeuner?« Vorsichtshalber stoppte Steffi den Wagen in respektvollem Abstand und ließ sogar den Motor laufen. Die Sippe, zu der auch eine Schar Kinder gehörte, warf nur einen flüchtigen Blick auf uns Eindringlinge, dann interessierten wir sie nicht mehr.
    »Nee, hier bleiben wir nicht, die sind mir zu suspekt.«
    »Aber in die Camargue zum Sinti-Treff willst du unbedingt hin«, erinnerte ich Steffi. »Wahrscheinlich sind die hier auch auf dem Weg nach Süden, nur sind sie noch ein bißchen zu früh dran. Und dieses Gewäsch von wegen ›alle Zigeuner stehlen‹ ist doch nur ein Vorurteil. Gerade bei den Sinti-Familien herrscht eine beinahe militärische Disziplin, und jedem, der dem Oberhaupt nicht pariert, drohen drakonische Strafen. Das habe ich mal gelesen.«
    »Wie viele Zigeuner hast du denn schon persönlich kennengelernt?«
    »Keinen«, mußte ich zugeben.
    »Papier ist geduldig«, sagte Steffi nur und drehte um.
    Bevor wir die Landstraße erreicht hätten, zweigte nochmals ein Weg ab, der zu einem Dorf zu führen schien.
    Auf halber Strecke dorthin gab es einen von Bäumen bestandenen Hügel, und mitten darin war ein uraltes, aus Feldsteinen erbautes Kirchlein.
    »Guck mal, Steffi, sieht das nicht aus wie ein Gemälde von Monet?«
    »Berge hat der doch nie gemalt, und Kirchen auch nicht.
    Der hatte es doch immer mehr mit ’m Wasser.«
    »Ich meine ja auch nicht unbedingt das Motiv, sondern mehr die Stimmung.«
    »Du hast recht, die Sonne steht schon ziemlich tief.
    Warum bleiben wir nicht einfach hier?«
    Ich war einverstanden. Was sollte uns schon im Schatten des Gotteshauses passieren? Während Steffi unser mobiles Heim wieder auf Wohnbetrieb umstellte, inspizierte ich die nähere Umgebung. Die Bäume waren keine Fichten mehr, sondern Pinien, die Wildblumen kannte ich zum Teil gar nicht, und trotz der abendlichen Stunde war es noch so warm, daß ich nicht mal eine Jacke brauchte. Wir näherten uns ganz offensichtlich wärmeren Zonen.
    Das Kirchlein, mindestens einige hundert Jahre alt, war einem Heiligen geweiht. Ich weiß nicht mehr, welchem, aber sein Namenstag wird am 21. September gefeiert, und an diesem Tag sollte ihm zu Ehren hier oben ein Gottesdienst stattfinden. Das zumindest besagte ein schon von der Sonne ausgeblichener Zettel, mit profanen Heftzwecken an der dicken Holztür befestigt.
    »Wenn uns heute nacht jemand abmurkst, werden unsere sterblichen Überreste spätestens in viereinhalb Monaten gefunden werden.« Ich erzählte Steffi von meiner Entdeckung.
    »Hat denn auch die Jahreszahl danebengestanden?«
    forschte sie mißtrauisch. »Ach ja, eine Frage noch: Weißt du, wo ich die Grillkohlen verstaut habe?«
    »Gegenfrage: Haben wir überhaupt welche gekauft?«
    Notgedrungen grillten wir die mitgebrachten Steaks auf Pinienzapfen, die entsetzlich qualmten und dem Essen ein ungewohntes Aroma verliehen, aber es schmeckte trotzdem großartig. Vöglein zwitscherten ihr Abendlied, Eidechsen huschten über die sonnenwarmen Steine und brachten die Hunde zur Verzweiflung, und als der Mond hinten über den Weizenfeldern aufstieg, saßen wir immer noch draußen und schauten in die Sterne.
    »Hier würde ich es ein paar Tage lang aushalten.«
    »Ich nicht«, erwiderte Steffi, »ist mir ein bißchen zu einsam. Mir schwebt etwas ganz anderes vor, was Ausgefallenes abseits der üblichen Ferienorte, wo aber trotzdem was los ist.«
    »Dann solltest du auf eine Nordsee-Hallig fahren. Du hast ja keine Ahnung, was da los ist, wenn das wöchentliche Postschiff kommt!«
    Nach dem dritten Glas Rosé hatten wir die nötige Bettschwere erreicht und verzogen uns in unser luxuriöses Heim.

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