Werden sie denn nie erwachsen?
Mit nur halb aufgepumpter Luftmatratze hätte ich eigentlich herrlich schlafen müssen, doch wer behauptet, man solle sich nicht über Kleinigkeiten ärgern, hat noch nie eine Mücke im Schlafzimmer gehabt.
14
»Heute machen wir aber mal in Kultur!« entschied ich, während wir unsere Terrasse abbauten und das Wohnmobil in fahrbereiten Zustand versetzten. »Avignon ist sehr geschichtsträchtig.«
»Muß das sein?« Steffi schob die zusammengeklappten Stühle in den Wagen. »Vergiß nicht wieder, den Krempel im Bad bruchsicher zu verstauen.«
»Habe ich schon.« Nach unserer ersten Übernachtung hatten wir von der Seife bis zum Mückenvertilgungsmittel alles offen stehenlassen und abends ein Chaos vorgefunden. Die ganze Naßzelle roch noch immer intensiv nach Odol, in die hoffentlich letzte Scherbe war ich vorhin erst getreten, und mein Lieblingslippenstift war auch im Eimer. Bei dem Versuch, den kläglichen Rest Shampoo vor dem endgültigen Auslaufen zu retten, hatte Steffi die Hülle einfach plattgetreten. Noch einmal würde so etwas nicht passieren! Im diffusen Mondlicht hatten wir noch gestern abend eine Checkliste aufgestellt und die Verantwortung für die einzelnen Sicherheitsmaßnahmen gewissenhaft geteilt. Künftig war Steffi für den technischen Bereich zuständig, worunter auch die Kontrolle der Wasserbehälter einschließlich Abwassertank und Chemietoilette fiel, während ich die hauswirtschaftlichen Belange zu übernehmen hatte.
Würden wir plötzlich ohne Benzin dastehen, wäre das Stefanies Schuld, und wenn wieder einmal das Baguette über den Fußboden kullerte, so war das meiner Nachlässigkeit zuzuschreiben. Vor der Abfahrt hatte es hochkant im Kleiderschrank verstaut zu werden, dem einzigen Platz mit einer Tür davor, wo so ein langes Teil hineinpaßte.
Ohnehin waren wir schon ein recht gut eingespieltes Team. Jeder wußte genau, wann er sich wo hinzusetzen hatte, damit der andere mit einem Tablett in der Hand gefahrlos den Wagen der Länge nach durchqueren konnte.
Der Ruf »Vorsicht!« bedeutete, daß man auch seine Beine anziehen mußte, weil die halbe Vorratstruhe ausgeräumt wurde (die zweite Packung Knödel war ganz nach unten gerutscht), und »alle Mann raus!« hieß, es war mal wieder der Schraubverschluß vom Mineralwasser runtergefallen und genau dorthin gerollt, wo man ihn nur mit Hilfe von Handfeger und/oder Kleiderbügel hervorbekam, artistische Verrenkungen inbegriffen.
Auf dem Weg nach Avignon erteilte ich Steffi Geschichtsunterricht. Sehr viel war auch bei mir nicht hängengeblieben, doch wozu gibt es Lexika? Einige Stichworte hatte ich mir notiert. »Von 1309 bis 1377 regierten in Avignon insgesamt sieben Päpste.«
»Neun«, korrigierte Steffi.
»Wirklich? Dann muß es Doppelbesetzungen gegeben haben. Jedenfalls endete mit der Französischen Revolution der Kirchenstaat Avignon und …«
»… seitdem ist auch die Brücke kaputt.«
»Nein, die wurde schon 1669 zerstört.«
»Wodurch?«
»Keine Ahnung. Vielleicht durch Hochwasser.«
»Oder durch Touristen, sofern es damals schon welche gegeben hat. Den schiefen Turm von Pisa haben sie ja auch kleingekriegt.«
»Du redest komprimierten Schwachsinn! Der Turm sackt von allein ab, weil der Untergrund nachgibt.«
»Weiß ich auch. Aber vielleicht würde er nicht so schnell rutschen, wenn nicht seit Jahrzehnten Touristen raufsteigen und sich genau dort hinstellen würden, wo die schiefe Seite ist.«
»Quatsch! Außerdem haben Touristen mit der kaputten Brücke von Avignon gar nichts zu tun. Die ist ja erst zur Attraktion geworden, weil sie kaputt ist.«
»Genau wie die in Heidelberg. Kein Mensch hat sich für den Neubau interessiert, und erst, als er wieder zusammengekracht ist, sind alle hingepilgert und haben sich die architektonische Pleite angeguckt.«
Da gab ich es auf, faltete meine Gedächtnisprothese zusammen und warf sie in die Mülltüte. Die war auch schon wieder voll. Da die Abfallbeseitigung in den hauswirtschaftlichen Bereich fiel, hoffte ich, irgendwo einen Rastplatz zu finden und dort eine noch nicht überquellende Mülltonne. Ich entdeckte weder das eine noch das andere, obwohl wir uns nur noch im Schneckentempo vorwärtsbewegten. Schließlich trat Steffi auf die Bremse und schaltete den Motor aus. »Nichts geht mehr.«
»Stimmt. Alles fährt.«
Gute zehn Minuten hingen wir im Stau, dann konnten wir weiterrollen. Endlich tauchten auf der linken Seite die ersten Mauern der gewaltigen Residenz auf.
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