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Werden sie denn nie erwachsen?

Werden sie denn nie erwachsen?

Titel: Werden sie denn nie erwachsen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Beuteln.«
    »O Gott«, sagte Rolf nur.
    Ich muß allerdings zugeben, daß die Mädchen hervorragende Köchinnen geworden sind, und zwar alle beide. Ich genieße es, wenn sie mich mal vom Herd suspendieren und die Küche zur Bannmeile erklären. Was später auf den Tisch kommt, kenne ich in der Regel nicht, aber es schmeckt immer großartig. Am meisten liebe ich Nicolas Coq au vin, auch wenn sie der Ansicht ist, es sei schade, daß man Hühner nicht mit Tausendfüßlern kreuzen könne, »dann bekäme nämlich jeder ein Bein«.
    Im Herbst hatten sie ihr erstes Praktikum und mußten vier Wochen lang täglich jeweils eine Stunde Unterricht geben. Was also lag näher, als die Schule im Nachbarort anzupeilen und vorübergehend mal wieder ins Elternhaus zu ziehen, wo ihnen außer geregelten Mahlzeiten auch schrankfertige Wäsche und seelischer Zuspruch garantiert waren. Den brauchten sie auch.
    »Das wichtigste an einem Lehrer ist nicht sein didaktisches Können und so weiter, sondern seine Frustrationstoleranz«, stellte Katja bereits am zweiten Tag fest. »Die Kids von heute sind ja teilweise noch widerlicher, als wir es gewesen sind. Sagt doch so ein Rotzlöffel zu mir: ›Kein Wunder, daß Sie so gut in Geschichte Bescheid wissen, Sie haben ja das meiste davon noch selbst miterlebt!‹ Dabei ist der Bengel bestenfalls acht Jahre jünger als ich.«
    Nicole kämpfte mit anderen Schwierigkeiten. Ihr hatte man eine zweite Grundschulklasse zugeteilt mit der Aufgabe, das menschliche Gebiß durchzunehmen.
    Nachdem sie einen Nachmittag lang sämtliche Lexika gewälzt und zum Schluß noch das mir von meiner Großmutter vererbte Standardwerk
Die Frau als Hausärztin,
Jahrgang 1907, zu Rate gezogen hatte, meinte sie achselzuckend:
    »Da steht auch nichts Vernünftiges drin. Na gut, dann kann ich morgen wenigstens mal meine pädagogischen Fähigkeiten voll entfalten, wenn ich etwas erklären muß, wovon ich selber keine Ahnung habe.«
    Trotz dieser destruktiven Äußerungen machte ihnen das Praktikum großen Spaß. Als die Zeit herum war, tat es ihnen sogar leid. »In diesen vier Wochen haben wir mehr gelernt als während der vergangenen drei Semester Uni«, sagte Katja überzeugt. »Was da von den Dozenten geboten wird, ist doch bloß Grüne-Tisch-Philosophie, rein theoretischer Kram also, mit dem man in der Praxis nicht das geringste anfangen kann. Das habe ich jetzt mitgekriegt. Ich glaube, wenn nicht Moses, sondern irgend so ein Fachgremium die Kinder Israels geführt hätte, wären sie immer noch in Ägypten.«
    »Wie kommst du denn jetzt darauf?« fragte Rolf verblüfft.
    »Ich mußte heute Vertretung in Religion machen.«

13
    Wenn Pfingsten, Geburts- und Muttertag auf ein und dasselbe Datum fallen, hilft nur eins: Flucht! Diese komprimierte Fürsorge, Hilfsbereitschaft und Dankbarkeit ist nur mit sehr starken Nerven zu ertragen, und die habe ich nicht mehr. Früher mußte ich sie haben. Das begann beim Frühstück im Bett mit leicht verbranntem Toast, lauwarmem Kaffee und zum Teil selbstfabrizierten Gedichten und hörte beim eigenhändig gekochten Mittagessen (in der Regel gab es Hackfleischbraten) noch lange nicht auf. Zwischendurch kamen die Präsente, bei denen anfangs die Kindergärtnerinnen Hilfestellung geleistet hatten, später der zuständige Lehrer für den Werkunterricht. Ich besaß Unmengen von bemalten Kleiderbügeln, die alle abfärben, sobald man etwas Feuchtes draufhängte. Das bestickte Nadelkissen liegt immer noch im Nähkasten und ist nur zum Ansehen da; hineingepiekte Nadeln rosten nämlich. Svens Aschenbecher steht nach wie vor auf meinem Schreibtisch, obwohl er wie ein zu klein geratener Blumentopf aussieht und auch sehr unpraktisch ist, und gleich daneben hat Saschas Dafantel seinen Platz, eine Mutation, die man in der freien Natur vergeblich suchen würde: vorne und hinten Elefant, in der Mitte Dackel.
    Sogar die Beine sind krumm.
    Der Zeitpunkt, an dem sich die verschiedenen Ereignisse auf einen Tag konzentrieren, wiederholt sich alle zehn bis zwölf Jahre. So bin ich zwar immer rechtzeitig gewarnt und doch nie richtig vorbereitet. Die Blumenvasen reichen nicht, Kuchen ist immer viel zuviel da, denn jeder bringt noch welchen mit, weil ja Muttertag ist und ich keine Arbeit haben soll. Nach Ansicht meiner Familie habe ich im Sessel zu sitzen und mich bedienen zu lassen. Das ist aber ganz und gar nicht mein Fall. Besonders dann nicht, wenn sich vor der Tür Bruder und Schwester in den Haaren liegen,

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