Werden sie denn nie erwachsen?
Entsetzen der Zwillinge bin ich jetzt bestens über den Stadtklatsch informiert und gebe ihn auch bereitwillig weiter. Fährt man nämlich mit dem Auto zum Einkaufen, guckt man bloß auf die Straße und sonst nirgendwohin. Geht man aber zu Fuß zum Supermarkt und muß wegen des Hundes an jedem zweiten Baum anhalten, dann sieht man ständig etwas Interessantes. Die neue und sehr aufwendige Haustür von Müllers in Nummer sechs zum Beispiel oder den Kinderwagen auf der Terrasse von Gerolds, der zu Spekulationen herausfordert. Immerhin haben Gerolds doch nur eine Tochter. Verheiratet ist die bestimmt noch nicht, das hätte sonst im Blättchen gestanden. Frau Niedermeier, die mir gerade mit Pudel Hansi entgegenkommt, weiß sicher Näheres. Während sich die Hunde begrüßen, werde ich darüber informiert, daß Gerolds Tochter in Tübingen studiert und der Kinderwagen zu dem Besuch aus Dresden gehört.
Nebenbei erfahre ich noch Einzelheiten über Hansis Kampf mit dem Cocker Chico, der Otto auch schon mal ans Leder wollte. Leute, die ihre Hunde nicht erziehen können, sollten keine haben! Otto weiß das und geht nur dann auf seine Artgenossen los, wenn ich in der Nähe bin und ihm den Rücken stärken kann. Ich sehe aber nicht nur neue Haustüren und unbekannte Kinderwagen, sondern auch die ersten Blüten an den Mandelbäumchen, die Stadtgärtner, wie sie in brütender Hitze Unkraut jäten, und das kleine Aussiedlerkind, das nur Russisch spricht und traurig am Gartenzaun lehnt. Als ich zurückkomme, ist es immer noch da. Den Lutscher will es nicht annehmen. Es wartet wohl darauf, daß jemand mit ihm spielt.
Nur Otto habe ich es zu verdanken, wenn sich mein Blick erweitert hat und ich vieles bemerke, was ich früher gar nicht wahrgenommen habe. Deshalb empfinde ich das Gassigehen auch nicht als lästig, sondern als gesundheitsförderndes Vergnügen. Jedenfalls im Sommer.
Wann dieses Vergnügen zur leidigen Notwendigkeit wird, bestimmt Otto selber. Wir brauchen nämlich kein Thermometer mehr.
Öffne ich morgens die Terrassentür, damit er seinen Stammbaum besuchen kann, und er kommt nicht wieder zurück, dann haben wir mindestens fünfzehn Grad. Bleibt er fünf Minuten draußen, ist es immer noch zehn Grad warm. Der kritische Punkt beginnt bei Null, dann nämlich ist Otto nach längstens einer Minute wieder da. Dreißig Sekunden bedeuten Minusgrade, und steckt er bloß die Schnauze aus der Tür, so daß ich mit einem sanften Fußtritt nachhelfen muß, dann wird es Zeit für lange Unterhosen.
So weit war es jedoch noch nicht. Wir hatten Sommer, und zwar seit langem den ersten, der uns tropische Hitzegrade bescherte.
Die Zwillinge hatten Semesterferien, waren aber in Dossenheim geblieben, um Geld für den Urlaub und für »Sonstiges« zu verdienen, worunter die beiden erstmals etwas völlig Verschiedenes verstanden. Nicole sparte für eine komplette Skiausrüstung und Katja für einen Trockentauchanzug, mit dem man auch bei vier Grad minus in einen Baggersee steigen kann, um dann auf dem Grund rostige Blechdosen und alte Autoreifen zu besichtigen. Lediglich die Wochenenden verbrachten sie zu Hause, vorwiegend in der Hängematte oder auf der Gartenliege.
»Du weißt ja gar nicht, wie schön du es hier hast.«
Katja wechselte von der Bauch- in die Rückenlage.
»Was glaubst du, wie wir in Büchsenbach braten, wenn die Sonne von morgens bis abends aufs Dach knallt! Wir gucken schon gar nicht mehr aufs Thermometer, wir zählen bloß noch die benutzten Gläser in der Spüle.«
»Kochen tun wir auch nicht mehr«, ergänzte Nicki.
»Zur Zeit ernähren wir uns von Salat und Speiseeis.«
Was sie allerdings nicht hinderte, beim sonntäglichen Mittagessen kräftig zuzuschlagen. »Guck mal, Katja, richtige Kartoffeln. Wann haben wir die eigentlich zum letztenmal gegessen?«
Rolf erinnerte sich des Lamentos wegen des angeblich unerläßlichen Küchenherds. »Wer von euch beiden – die momentane Hitzewelle mal ausgeklammert – hat eigentlich das Kochen übernommen?«
»Ooch, das ist nicht so genau festgelegt«, antwortete Katja gleichmütig, »da wechseln wir uns ab. Mal schneidet Nicki die Tütensuppen auf und mal ich.«
So etwas Ähnliches hatte ich mir schon gedacht. »Auf die Dauer ist das aber eine sehr einseitige Ernährung, man kann nicht nur von Fertigfutter existieren. Kennt ihr denn überhaupt die Grundarten von Lebensmitteln?«
»Doch ja«, meinte Katja zögernd, »tiefgefroren, in Dosen, in Flaschen und in
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