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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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unserer Familie, und jedem Mitgliede derselben war eingeschärft, das Mädchen freundlich zu behandeln und es etwa nicht durch auffälliges Betrachten zu erschrecken.
    Ich begann nach und nach zu untersuchen, was es denn gelernt habe. Allein so gut gewählt und rein seine Worte waren, die es sprach, so gut sie gesetzt waren, wenn auch die Gedanken oft schwer erraten werden konnten, so wenig hatte es eine Vorstellung oder eine Kenntnis von der geringsten weiblichen Arbeit. Nicht einmal von dem Waschen und Reinigen eines Lappens, von dem Zusammennähen zweier Flecke hatte es einen Begriff. Der Vater mußte alles das außer dem Hause besorgt haben. Dafür sprach es oft, für uns unverständlich, mit der Dohle, wir trafen es zuweilen leise singend an, und es konnte auf der Flöte des Vaters, die wir ihm hatten verschaffen müssen, ein wenig spielen.
    Als es eine bedeutende Anhänglichkeit an mich gewonnen hatte, veranlaßte ich es, von seiner Vergangenheit zu sprechen. Allein entweder hatte es alles Frühere vergessen, oder es hatten die unmittelbar zuletzt vergangenen Dinge eine solche Gewalt über sein Gedächtnis ausgeübt, daß es sich an das, was vorher war, nicht mehr erinnerte. Es erzählte nur immer von dem unterirdischen Gemache.
    »Der Vater«, sagte es, »ging fort, nahm die Flöte mit, und kam oft erst zur Zeit, da die Lichter brannten, zurück. Er brachte in einem Topfe Speisen, die wir in dem kleinen Ofen wärmten und dann aßen. Oft legte ich auch Holzspäne in den Ofen, wenn er nicht da war, und machte mir eine Speise warm, die in einem Topfe auf dem Gestelle stand; denn es blieb zuweilen viel übrig. Ein anderes Mal hatte ich nichts als Brod, welches ich aß. Zuweilen blieb er auch zu Hause. Er lehrte mich mancherlei Dinge, und erzählte viel. Er sperrte immer zu, wenn er fort ging. Wenn ich fragte, was ich für eine Aufgabe habe, während er nicht da sei, antwortete er: Beschreibe den Augenblick, wenn ich tot auf der Bahre liegen werde, und wenn sie mich begraben; und wenn ich dann sagte. Vater, das habe ich ja schon oft beschrieben, antwortete er: So beschreibe, wie deine Mutter, von ihrem Herzen gepeinigt, in der Welt herumirrt, wie sie sich nicht zurück getraut, und wie sie in der Verzweiflung ihrem Leben ein Ende macht. Wenn ich sagte: Vater, das habe ich auch schon oft beschrieben, antwortete er: So beschreibe es noch einmal. Wenn ich dann mit der Aufgabe, wie der Vater tot auf der Bahre liegt, und wie die Mutter in der Welt umher irrt, und in der Verzweiflung ihrem Leben ein Ende macht, fertig war, stieg ich auf die Leiter und schaute durch die Drahtlöcher des Fensters hinaus. Da sah ich die Säume von Frauenkleidern vorbei gehen, sah die Stiefel von Männern, sah schöne Spitzen von Röcken oder die vier Füße eines Hundes. Was an den jenseitigen Häusern vorging, war nicht deutlich.«
    Als ich das Mädchen fragte, wo es die Ausarbeitungen der Aufgaben habe, antwortete es, daß der Vater dieselben alle gesammelt habe, und daß sie irgendwo aufbewahrt seien. Etwas weniges sei da. Mit diesen Worten ging es zu einem Kleiderkasten, in welchem es seine Kleider hatte, tat aus dem Sacke eines alten abgelegten Rockes einige verknitterte Papiere heraus, und reichte sie mir. Ich faltete sie auseinander. Sie waren teils mit Dinte, teils mit Bleifeder beschrieben, und häufig durch Kreuze und andere Zeichen ausgestrichen. Es war nicht viel daraus zu entnehmen.
    Ich befragte es über Gott, über die Schöpfung der Welt und über andere religiöse Gegenstände. Es sagte die betreffenden Stellen aus dem Katechismus sehr geläufig auf, und blickte mit den ruhigen und ausdruckslosen Augen umher. Ich suchte zu ergründen, ob es den religiösen Handlungen unserer Kirche beigewohnt habe, und brachte heraus, daß es wiederholt die Kirche mit dem Vater besucht habe, daß es dort aber nie eine Musik, das heißt ein Flötenspiel, wie es sich ausdrückte, gehört, noch mit jemand gesprochen habe. Es mußte also höchstens bei stillen Messen gewesen sein.
    Endlich wurde meinem Gatten die Vormundschaft übertragen und ihm die gerichtlich vorgefundene und aufgezeichnete Verlassenschaft gegen Bescheinigung übergeben. Aus den Papieren, die er sogleich sorgfältig untersuchte, ging hervor, daß der Verstorbene niemand anders war als jener Rentherr, der einmal abgereiset und sodann spurlos verschwunden war. Wir hatten die Geschichte jenes Mannes nur so im allgemeinen gewußt und sie schon längst wieder vergessen. Jetzt

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