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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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sich in ihrem Gemache auf ein Sofa. Da ihre Dienerin Sophie herein gekommen war, bedeutete sie dieselbe, wieder fortzugehen. Sie blieb lange auf dem Sofa sitzen.
    Als es gegen Mittag ging, schellte sie um Sophie, und kleidete sich mit Hilfe derselben zu dem Mittagessen.
    Dann, als die Glocke ertönte, ging sie in den Speisesaal. Hier fand sie den Oheim und Dietwin.
    Gleich darauf trat die Tante herein. Sie war in ihrem aschgrauen Seidenkleide, und an demselben hing das Bändchen Gerlints nieder mit der grauen Seite nach auswärts.
    Man setzte sich zu Tische. Obenan saß die Tante, zu ihrer Rechten saß der Oheim, zu ihrer Linken Dietwin, und neben dem Oheime saß Gerlint, und neben Dietwin Agathe. Sonst war niemand bei dem Mahle.
    »Ich habe ein kleines Ankunfts- und Verbindungsmahl veranstaltet,« sagte die Tante, »es ist so bei uns der Gebrauch, liebe Gerlint. Ich habe dir das Mahl zweiten Ranges zugeordnet mit dem Silber, den Blumen, den Früchten, den Speisen und der Dienerschaft im zweiten Range. Die Mahle ersten Ranges sind in dem großen Speisesaale bei Vermählungen, Verlobungen und andern Gelegenheiten hoher Feier. Dann sind noch die Mahle dritten Ranges und unser gewöhnliches Speisen. Du wirst schon alle Ordnungen dieses Schlosses kennen lernen, wenn du länger hier gewesen bist.«
    »Meinem lieben Oheime und meinem lieben Vetter kommt wohl eine Auszeichnung zu,« sagte Gerlint, »ich bedeute aber noch nicht viel.«
    »Der Eintritt eines Mitgliedes unseres Geschlechtes in unsere nähere Verbindung und in unseren näheren Umgang muß gefeiert werden«, sprach die Tante.
    »So ist es«, sagte der Oheim.
    Dann begann das Mahl, und hatte seinen Fortgang.
    Während desselben waren verschiedene, aber gewöhnliche Gespräche. Man sprach über die Ankunft Gerlints, über Vorkommnisse und Veränderungen in den Gütern der Tante, des Oheims, Dietwins, über die Nachbarschaft, über Zeitereignisse. Dietwin sprach wenig, Gerlint beinahe nichts. Nach dem Mahle wurde auf dem breiten Söller des Schlosses der Kaffee aufgetragen.
    Am Nachmittage gingen alle gemeinschaftlich durch den Garten, durch Felder, über Wiesen und durch Wäldchen des Gutes.
    Am Abende war ein einfaches Abendmahl in dem gewöhnlichen Speisezimmer, und dann konnte jedes seine Nachtruhe suchen.
    Nach dem Frühmahle des folgenden Tages kam die Tante zu Gerlint in ihr Zimmer, setzte sich zu ihr, und sagte: »Ich habe dir noch eine Eröffnung zu machen, Gerlint, die dich vielleicht freuen wird. Auguste von Schilden kommt. Du wärest ja unter uns gar so einsam. Ich habe ihr geschrieben, und habe sie eingeladen, doch wieder eine Weile bei uns zu sein. Sie hat freundlich geantwortet; aber vermöge unserer unerquicklichen Botenverhältnisse hat der alte Kajetan den Brief eine Woche bei sich vergessen, und hat ihn mir heute morgens gebracht, und so trifft Auguste fast zugleich mit ihrem Briefe ein. Ich erwarte sie jeden Augenblick. Weil bis gestern kein Brief eingetroffen war, habe ich dir von der Sache gar nichts gesagt. Jetzt aber eröffne ich sie dir, daß du auf diese Ankunft gefaßt bist. Wenn auch Auguste gewöhnlich nicht lange bei ihren Verwandten verweilt, so hoffe ich doch, daß sie nicht gar kurze Zeit bei uns bleiben wird.«
    »Du bist in allem so besorgt, geliebte Mutter,« antwortete Gerlint, »daß ich dir auch für diese Güte wieder sehr zum Danke verpflichtet bin. Ich werde bestrebt sein, deine Zufriedenheit mit mir in jedem Stücke nach allen Kräften zu erringen. Ich freue mich der Ankunft Augustens, und freue mich, daß sie eine Weile bei uns sein will.«
    »Ich verlasse dich, und sehe der Ankunft Augustens entgegen«, sagte die Tante.
    Dann entfernte sie sich aus Gerlints Zimmer.
    Ungefähr zwei Stunden nach diesem Gespräche kam Auguste in dem Schlosse an.
    Gerlint und Dietwin empfingen sie an dem Wagen, und führten sie in das Zimmer der Tante, wo diese und der Oheim ihrer harrten.
    Man begrüßte sie auf das herzlichste, und tauschte gute, verwandtschaftliche Worte aus.
    Darauf geleiteten sie alle in ihre Wohnung, die neben der Gerlints war.
    Dort verabschiedeten sich die Männer.
    Auguste aber küßte die Hand der Tante, und sagte: »Wie danke ich dir, teure Muhme, daß du mir erlaubst, die erste Zeit, die Gerlint in diesem Schlosse zubringt, mit ihr teilen zu dürfen.«
    »Ich habe dir hier eine kleine Wohnung zurecht richten lassen,« antwortete die Tante, »möge sie dir nicht mißfallen.«
    »Du weißt ja, wie gerne ich seit

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