Werke
noch so kostbare Arbeit ist, habe ich an Abbildungen aus späteren Zeiten, namentlich aus dem Mittelalter, nicht mehr gefunden. Die Angesichter hatten Züge, die etwas Fremdes wiesen, das jetzt nicht mehr vorkömmt und auf eine entlegene Zeit zurückdeutet. Die Züge waren meistens einfach, ia sogar oft unbegreiflich einfach, und doch waren sie schön, schöner und menschlich richtiger – so schien es mir wenigstens –, als sie jetzt vorkommen. Die Stirnen, die Nasen, die Lippen waren strenger, ungekünstelter, und schienen der Ursprünglichkeit der menschlichen Gestalt näher. Dies war selbst bei den Abbildungen der Greise der Fall, und sogar da, wo man vermuten durfte, das abgebildete Haupt sei das Bildnis eines Menschen, der wirklich gelebt hat. Es konnte diese Gestaltung nicht Eingebung des Künstlers sein, da offenbar die Steine verschiedenen Zeiten und verschiedenen Meistern angehörten; sie mußte also Eigentum jener Vergangenheit gewesen sein. Die Köpfe der Frauen waren auch schön, oft überraschend schön; sie hatten aber auch etwas Eigentümliches, das sich von unsern gewohnten Vorstellungen entfernte, sei es in der Art, das Haupthaar aufzustecken und es zu tragen, sei es, wie sich Stirne und Nase zeigten, sei es im Nacken, im Halse, im Beginne der Brust oder der Arme, wenn diese feile noch auf dem Bilde waren, sei es in dem uns fernliegenden Ganzen. Allgemein aber waren diese Köpfe kräftiger und erinnerten mehr an die Männlichkeit als die unserer heutigen Frauen. Sie erschienen dadurch reizender und ehrfurchterweckender. Die Ausführung dieser Abbildungen zeigte sich so rein, so entwickelt und folgerichtig, daß man nirgends, auch nicht im Kleinsten,versucht wurde, zu denken, daß etwas fehle, ja daß man im Gegenteile die Gebilde wie Naturnotwendigkeiten ansah, und daß einem in der Erinnerung an spätere Werke war, diese seien kindliche Anfänge und Versuche. Die Künstler haben also große und einfache Schönheitsbegriffe gehabt, sie haben sich diese aus der Schönheit ihrer Umgebung genommen, und diese Schönheit der Umgebung durch ihre Schönheitsbegriffe wieder verschönert. So sehr mir die Bilder des Vaters gefielen, so sehr mir die Bilder meines Gastfreundes gefallen hatten, so sehr wurde ich, wie ich durch die Marmorgestalt meines Gastfreundes ernster und höher gestimmt worden war als durch seine Bilder, auch durch die geschnittnen Steine meines Vaters ernster und höher gestimmt als durch seine Bilder. Er mußte das fühlen. Er sagte nach einer Weile, da wir die Steine angeschaut hatten, da ich mich in dieselben vertieft und manchen mehrere Male in meine Hände genommen hatte: »Das, was die Griechen in der Bildnerei geschaffen haben, ist das Schönste, welches auf der Welt besteht, nichts kann ihm in andern Künsten und in späteren Zeiten an Einfachheit, Größe und Richtigkeit an die Seite gesetzt werden, es wäre denn in der Musik, in der wir in der Tat einzelne Satzstücke und vielleicht ganze Werke haben, die der antiken Schlichtheit und Größe verglichen werden können. Das haben aber Menschen hervorgebracht,deren Lebensbildung auch einfach und antik gewesen ist, ich will nur Bach, Händel, Haydn, Mozart nennen. Es ist sehr schade, daß von der griechischen Malerei nichts übrig geblieben ist als Teile von dem, was in dieser Kunst immer als ein untergeordneter Zweig betrachtet worden ist, von der Wandmalerei und Gebäudeverzierung. Da die griechische Dichtkunst das Höchste ist, was in dieser Kunstabteilung besteht, da ihre Baukunst als Muster einfacher Schönheit besonders für die Gestaltungen ihres Landes gilt, da ihre Geschichtschreiber und Redner kaum ihres Gleichen haben, so ist anzunehmen, daß ihre Malerei auch diesen Dingen gleichgeartet gewesen sein müsse. Sie sprechen in Schriften, die bis auf unsere Tage gekommen sind, von ihren Bauwerken, von ihrer Weltweisheit, Geschichtschreibung, Dichtkunst und Bildnerkunst nicht höher als von ihrer Malerei, ja nicht selten scheint es, als zögen sie diese noch vor, also muß auch sie vom höchsten Belange gewesen sein; denn es ist nicht anzunehmen, daß Schriftsteller, die doch endlich der Ausdruck, wenn auch der gehobene, ihrer Zeit und ihres Volkes sind, so feine Kenntnisse und so feines Gefühl in andern Künsten gehabt haben und für Fehler der Malerei blind gewesen wären. Wahrscheinlich würden wir uns an Strenge und Rundung in ihrer Malerei ergötzen und sie bewundern, wie wir es mit ihren Bildsäulen tun. Ob wir an ihnen
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