Werke
aber mit dem Geiste nicht auch ein Angesicht betrachten, über welches Jahre hingegangen sind? Liegt nicht eine Geschichte darin, oft eine unbekannte voll Schmerzen oder Schönheit, die ihren Widerschein auf die Züge gießt, daß wir sie mit Rührung lesen oder ahnen? Die Jugend weist auf die Zukunft hin, das Alter erzählt von einer Vergangenheit. Hat diese kein Recht auf unsern Anteil? Als ich Mathilden das erste Mal sah, fiel mir das Bild der verblühenden Rose ein, welches mein Gastfreund von ihr gebraucht hatte, es fiel mir ein, weil ich es so treffend fand; und später oft, wenn ich Mathilden betrachtete, gesellte sich das Bild wieder zu meinen Gedanken, es erregten sich neue, und es erzeugte sich eine ganze Folge davon. Ich hatte mir einmal gedacht, daß Mathilde aussehe wie ein Bild der Vergebung, und später dachte ich es mir öfter. Ihr Angesicht mußte sehr Schön gewesen sein, vielleicht gar so schön wie jetzt Nataliens, nun ist es ganz anders; aber es spricht leise von einer Vergangenheit, daß wir meinen, wir müßten sie vernehmen können, und wir vernähmen sie auch gerne, weil sie uns so anziehend scheint. Sie muß manche Neigungen gehabt haben, sie muß manche Freuden erlebt und manches Gut verloren haben, sie hat Schmerzen und Kummer ertragen; aber sie hat alles Gott geopfert, und hat gesucht, mit sich in das Gleiche zu kommen, sie ist mit den Menschen gut gewesen, und jetzt ist sie in tiefem Glücke mit manchem unerfüllten Wunsche und mit mancher kleinern und größern Sorge, die sie sinnen macht. Als ich einen Mann sagen gehört hatte, daß die Fürstin, in deren Abendgesellschaften ich zuweilen sein durfte, so schöne Töne in dem Angesichte habe, daß sie nur Rembrandt zu malen im Stande wäre, wurde ich nicht bloß auf die Fürstin noch mehr aufmerksam, die in ihrem hohen Alter noch so schön war, sondern ich betrachtete auch Mathilden wieder genauer, und lernte die Schönheit, wenn schon manche Jahre über sie gegangen sind, besser kennen. Ich fing nun an, Männerund Frauen, die in höherem Alter sind, zu betrachten und sie um die Bedeutung ihrer Züge zu erforschen. Dabei fielen mir die Greisenköpfe auf den Steinen meines Vaters ein. Ich betrachtete die Steine öfter, da mir der Zugang zu denselben erlaubt war, und verglich die Köpfe die sich auf ihnen befanden, mit denjenigen, die mir in dem jetzt lebenden Geschlechte aufstießen. Beide Arten waren wirklich nicht mit einander vergleichbar, und es zeigten sich in ihnen die Verschiedenheiten menschlicher Geschlechter. Das Antlitz der Fürstin erschien mir nun um vieles schöner als in der früheren Zeit, daß ich aber nicht auf den Wunsch geriet, es malen zu wollen, also noch weniger dem Wunsche einen Ausdruck gab, begreift sich. In den Angesichtern der manchen, welche ich jetzt eifriger betrachtete, fand ich freilich oft etwas, das mir nicht gefiel, sei es Neid, sei es irgend eine Begierlichkeit, sei es bloße Abgelebtheit oder Geistlosigkeit, sei es etwas anderes, ich stellte bei solchen Gelegenheiten meine Betrachtung bald ein, und hegte nicht den Wunsch, das Gesehene zu malen. Seit ich Gustav besser kennen gelernt hatte und näher mit ihm befreundet worden war, betrachtete ich auch gerne Köpfe von Jünglingen, ob sie nicht Gegenstände zum Malen abgäben. Wenn gleich sein Angesicht ebenfalls nicht jenen schönen und einfachen Angesichtern auf den Steinen meines Vaters glich, die besonders edel undmerkwürdig aus den Helmen heraus sahen, so war es ihnen doch näher als alle andern, welche ich jetzt zu erblicken Gelegenheit hatte, und war überhaupt so schön, wie es selten einen Kopf eines Knaben geben wird, der eben in das Jünglingsalter übertritt. Wenn der Ausdruck der Mienen der Jünglinge unserer Stadt sehr oft darauf hinwies, daß ihr Geist verzogen worden sein mag, wenn sie etwas Weichliches oder etwas zu sehr Herausforderndes oder etwas hatten, das schon über ihre Jahre hinausging, ohne doch Kraft zu zeigen: so war Gustavs Antlitz so kräftig, daß es vor Gesundheit zu schwellen schien, es war so einfach, daß es gleichsam keinen Wunsch, keine Sorge, kein Leiden, keine Bewegung aussprach, und doch war es wieder so weich und gütig, daß man, wenn der feurige Blick nicht gewesen wäre, in das Angesicht eines Mädchens zu blicken geglaubt haben würde.
Ich zeichnete und malte meine Köpfe jetzt anders als noch kurz vorher. Wenn ich früher, vorzüglich bei Beginne dieser meiner Beschäftigung, nur auf Richtigkeit der
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