Werke
nach mißachten, daher ließ sie dasselbe verfallen, ja die mit der Unkenntnis eintretende Rohheit zerstörte manches, besonders wenn wilde und verworrene Zeitläufe eintraten. Man wendete dann wieder um und achtete allgemeiner wieder das Alte – von allen Seiten mißachtet war es niemals. – Man suchte sogar nachzuahmen, nicht bloß in der Malerkunst, sondern auch, und zwar noch mehr, in der Baukunst; man konnte aber das Vorbild weder in der Grundeinheit noch in der Ausführung erreichen, so gut und treu die neuen Einzelnheiten auch gewesen sein mochten. Es ist langsam besser geworden, was sich eben in dem Zeichen kund tat, daß man alte Bauwerke wieder schätzte – ich selber weiß noch eine Zeit, in welcher Reisende und Schriftsteller, die man für gelehrt und spruchberechtigt achtete, die gotische Bauweise für barbarisch und veraltet erklärten –, daß man alte Bilder hervor zog, ja alte Geräte sammelte, und in dem Schnitte der Kleider alte Gebilde und Wendungen teilweise einführte. Möge man auf diesem Wege zum Besseren fortfahren und nicht bloß das Alte wieder zu einer Mode machen, die den Geist nicht kennt, sondern nurdie Veränderung liebt. Du kannst es noch erleben, wenn wieder eine Hohe eintritt; denn ein Schwellen von Tiefe in Höhe und ein Sinken aus der Höhe in die Tiefe war immer vorhanden. Wenn die Erkenntnis des Altertums, nicht bloß des unsern, sondern des noch schönern des Griechentums, wie es sich jetzt auszusprechen scheint, immer fortschreitet und nicht ermattet, so werden wir auch dahin kommen, daß wir eigene Werke werden ersinnen können, in denen die ernste Schönheitsmuse steht, nicht Leidenschaft oder Absicht oder ein äußerlicher Reiz oder ledigliche planlose Heftigkeit, Werke, die nicht nachgeahmt sind, oder in denen nur ein älterer Stil ausgedrückt ist. Wenn wir dahin gekommen sind, dann dürften wir wohl auch gesellschaftlich auf einer Stufe stehen, daß nicht bloß Teile unseres Volkes nach außen mächtig sind, sondern das ganze Volk, und daß es dann mit seinem Leben gelassen kräftig auf das Leben anderer Völker wirkt. Ich denke immer, die sind glücklich, die die Lerchen dieses Frühlings singen hören; aber diese werden den Zustand nicht so empfinden wie der, der andere gesehen hat, so wie der Unschuldige seine Unschuld nicht empfindet, der rechtliche Mann seine Rechtschaffenheit nicht hoch anschlägt, und verdorbene Zeiten ihre Verdorbenheit nicht kennen.«
Ich dachte, da mein Vater so sprach, an meinen Gastfreund, der ähnlich fühlt und sich ähnlich ausspricht. Aber es ist ja kein Wunder, daß Männer, die ein ähnliches Streben haben, also auch ähnlichen Geist besitzen, auf ähnliche Gedanken kommen, besonders, wenn sie an Alter nicht zu verschieden sind.
Wir betrachteten nun das Einzelne.
Mein Vater hatte Bilder von Tizian, Guido Reni, Paul Veronese, Annibale Caracci, Dominichino, Salvator Rosa, Nikolaus Poussin, Claude Lorrain, Albrecht Dürer, den beiden Holbein, Lukas Cranach, Van Dyck, Rembrandt, Ostade, Potter, van der Neer, Wouvermann und Jakob Ruisdael. Wir gingen von dem einen zu dem andern, betrachteten ein jedes, taten manches Bild auf die Staffelei, und redeten über ein jedes. Mein Herz war voll Freude. Es erschien mir jetzt immer deutlicher, was ich beim ersten Anblicke nur vermutet hatte, daß die Bilder in dem Gemäldezimmer meines Vaters lauter vorzügliche seien, und daß sie noch dazu an Wert so sehr zusammen stimmten, daß das Ganze eben den Eindruck eines Außerordentlichen machte. Ich hatte schon so viel Urteil gewonnen, daß ich dachte, nicht gar zu weit mehr in die Irre geraten zu können. Ich äußerte mich in dieser Beziehung gegen meinen Vater, und er versicherte in der Tat, daß er glaube, daß er nicht nur gute Meister besitze, sondern auch von diesen Meistern nach seiner Erfahrung, die er sich in vielen Jahren, in vielen Gemäldesammlungen und im Lesen vieler Werke über Kunst erworben habe, bessere von ihren Arbeiten. Ich gab mich den Bildern immer inniger hin und konnte mich von manchem kaum trennen. Das Köpfchen von einem jungen Mädchen, das ich mir einmal zu einem Zeichnungsmuster genommen hatte, stammte von Hans Holbein dem jüngern her. Es war so zart, so lieb, daß es jetzt auch wieder einen Zauber auf mich ausübte, wie es wohl auch damals ausgeübt haben mußte; denn sonst hätte ich es ja nicht zum Vorbilde genommen. Kaum waren hier Mittel zu entdecken, mit denen der Künstler gewirkt hatte. Eine so einfache, so
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