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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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Wechsels derselben unaufhörlich fortfuhr, so kam ich doch zu spät, um die irdische Hülle meiner Mutter noch einmal sehen zu können. Sie ruhte bereits im Grabe. Nur in ihrenKleidern, in Geräten, im Arbeitszeuge, das auf ihrem Tischchen lag, sah ich die Spuren ihres Daseins. Ich warf mich in eine Lehnbank und wollte in Tränen vergehen. Es war der erste große Verlust, den ich erlitten hatte. Zur Zeit des Todes des Vaters war ich zu jung gewesen, um ihn recht empfinden zu können. Obwohl der erste Schmerz unsäglich heiß gewesen war und ich geglaubt hatte, ihn nicht überleben zu können, so verminderte er sich wider meinen Willen von Tag zu Tag immer mehr, bis er zu einem Schatten wurde und ich mir nach Verlauf von einigen Jahren keine Vorstellung mehr von dem Vater machen konnte. Jetzt war es anders. Ich hatte mich daran gewöhnt, die Mutter als das Bild der größten häuslichen Reinheit zu betrachten, als das Bild des Duldens, der Sanftmut, des Ordnens und des Bestehens. So war sie ein Mittelpunkt für unser Denken geworden, und mir kam fast nicht zu Sinne, daß das je einmal anders werden könne. Jetzt wußte ich erst, wie sehr wir sie liebten. Sie, die nie gefordert hatte, die nie auf sich irgend eine Beziehung gemacht hatte, die geräuschlos immer gegeben hatte, die jedes Schicksal als eine Fügung des Himmels empfangen hatte, und die in ruhigem Glauben ihre Kinder der Zukunft anvertraut hatte, war nicht mehr. Unter der Decke der Schollen schlummerte ihr Herz, das dort vielleicht so ergebungsvoll schlummerte, wie es sonst in der Kammer unter derHülle seiner weißen Decke geschlummert hatte. Die Schwester war wie ein Schatten, sie wollte mich trösten, und ich wußte nicht, ob sie des Trostes nicht noch bedürftiger wäre als ich. Der Gatte meiner Schwester war in einer gewissen Ergebung, er war stille, und ging an die Beschäftigungen seines Berufes. Ich ließ mir nach einer Zeit das frische Grab der Mutter zeigen, weinte dort meine Seele aus, und betete für sie zu dem Herrn des Himmels. Da ich in das Haus zurückgekehrt war, besuchte ich alle Räume, in denen sie zuletzt geweilt hatte, besonders ihr eigenes Stübchen, in welchem man alles gelassen hatte, wie es bei ihrer Erkrankung gewesen war. Der Schwager und die Schwester boten mir an und baten mich, eine Zeit bei ihnen zu verweilen. Ich nahm es an. In dem hinteren Teile des Hauses, den ich immer am meisten geliebt hatte, war schon vor der Erkrankung der Mutter ein Zimmer für mich größtenteils durch ihre Hände hergerichtet worden. Dieses Zimmer bezog ich, und packte darin meinen Koffer aus. Seine zwei Fenster gingen in den Garten, die weißen Fenstervorhänge hatte noch die Mutter geordnet, und das Linnen des Bettes war durch ihre vorsorglichen Finger gleichgestrichen worden. Ich getraute mir kaum etwas zu berühren, um es nicht zu zerstören. Ich blieb sehr lange unbeweglich in dem Zimmer sitzen. Dann ging ich wieder durch das ganze Haus. Es schien mir gar nicht,als ob es das wäre, in welchem ich die Tage meiner Kindheit verlebt hatte. Es erschien mir so groß und fremd. Die Wohnung, welche sich meine Schwester und ihr Gatte darin eingerichtet hatten, war früher nicht da gewesen, dafür war das Gemach für Vater und Mutter, das immer auch nach seinem Tode noch bestanden war, verschwunden, ebenso fand ich das Zimmer für uns Kinder nicht mehr, welches ich in allen Ferien, die ich zu Hause zugebracht hatte, noch in dem Zustande aus unserer früheren Zeit her gesehen hatte. Es war eben eine neue Haushaltung in dem Gebäude eingerichtet worden. Unter dem Dache angekommen, sah ich, daß man schadhafte Stellen des Daches ausgebessert hatte, daß man neue Ziegel genommen hatte, und daß an den Kanten, wo sich früher die Rundziegel befunden hatten, die neue Art der Verklebung durch Mörtel angewendet worden war. Dies alles tat mir wehe, obwohl es natürlich war, und obwohl ich es zu einer andern Zeit kaum beachtet haben würde. Jetzt aber war mein Gemüt durch den Schmerz erregt, und jetzt schien es mir, als ob man alles Alte, auch die Mutter aus dem Hause hinaus gedrängt hätte.
    Ich lebte von jetzt an still in dem Zimmer, las, schrieb, ging täglich auf das Grab der Mutter, besuchte die Felder und manches Wäldchen, hielt mich aber von den Menschen ferne, weil sie immer von meinem Verluste redeten und mit den Worten in ihm stets wühlten. Das Haus war auch sehr stille. Die Vermählten hatten noch keine Kinder, mein Schwager, dessen Wesen friedlich

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