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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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ich, indem ich beide Mädchen einander vorstellte, »das ist Natalie, die ich so sehr liebe, so sehr wie dich selbst.«
    »Nein, mehr als mich, und so ist es auch recht«, erwiderte Klotilde.
    »Sei meine Schwester,« sagte Natalie, »ich werde dich lieben wie eine Schwester, ich werde dich lieben, so sehr es nur mein Herz vermag.«
    »Ich nenne dich auch du,« erwiderte Klotilde, »ich liebe meinen Bruder wie mein eigenes Herz, und werde dich auch so lieben.«
    Die beiden Mädchen umarmten sich wieder und küßten sich wieder.
    Als wir uns um den Tisch gesetzt hatten, sagte ich zu Natalien: »Und mich grüßt Ihr beinahe gar nicht.«
    »Ihr wißt es ja doch«, erwiderte sie, indem sie mich freundlich ansah.
    Das Gespräch dauerte nun allgemeiner über denselben Gegenstand fort.
    Die zwei Frauen konnten sich kaum genug betrachten und nahmen sich immer wieder bei den Händen.
    Als man endlich auf andere Gegenstände übergegangen war und über die Reise und ihre Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten gesprochen hatte, sagte mein Vater, daß wir noch sämtlich in Reisekleidern seien, daß wir uns verabschieden müßten, und er fragte, wann er die Ehre haben könnte, sich Mathilden wieder vorstellen zu dürfen.
    »Nicht Vorstellung,« erwiderte sie, »Besuch, wann Ihr immer wollt.«
    »Also in zwei Stunden«, entgegnete mein Vater.
    Wir gingen in unsere Zimmer, und mein Vater wies uns an, uns in Festkleider zu kleiden. Nach zwei Stunden ging er allein mit der Mutter, beide wie an einem hohen Festtage geschmückt, zu Mathilden, welche sie zu sprechen verlangten. Mathilde empfing sie in dem großen Gesellschaftszimmer, und mein Vater warb um die Hand Nataliens für mich.
    Nach wenigen Augenblicken wurden Natalie, Klotilde und ich hineingerufen, und Mathilde sagte: »Der Herr und die Frau Drendorf haben für ihren Sohn Heinrich um deine Hand geworben, Natalie.«
    Natalie, welche in einem so festlichen Kleide da stand, wie ich sie nie gesehen hatte, weshalb sie mir beinahe fremd erschien, blickte mich mit Tränen in den Augen an. Ich ging auf sie zu, faßte sie an der Hand, führte sie vor ihre Mutter, und wir sprachen einige Worte des Dankes. Sie entgegnete sehr freundlich. Dann gingen wir zu meinen Eltern und dankten ihnen gleichfalls, die gleichfalls freundlich antworteten, Klotilde war in ihrem Festanzuge sehr befangen, was auch fast bei allen andern der Fall war. Mein Vater löste die Stimmung, indem er zu einem Tische schritt, auf welchen er ein Kästchen niedergestellt hatte. Er nahm das Kästchen, näherte sich Natalien und sagte: »Liebe Braut und künftige Tochter, hier bringe ich ein kleines Geschenk; aber es ist eine Bedingung daran geknüpft. Ihr seht, daß ein Faden um das Schloß liegt, und daß der Faden ein Siegel trägt. Schneidet den Faden nicht eher ab als nach Eurer Vermählung. Den Grund meiner Bitte werdet Ihr dann auch sehen. Wollt Ihr sie freundlich erfüllen?«
    »Ich danke für Eure Güte innig,« antwortete Natalie, »und ich werde die Bedingung erfüllen.«
    Sie empfing das Kästchen aus der Hand des Vaters. Auch die Mutter und Klotilde gaben ihr Geschenke, so wie Mathilde und Natalie Gegenstände aus den benachbarten Zimmern herbeiholten, um die Mutter, Klotilden und den Vater zu beschenken. Natalie und ich gaben uns nichts. Dann setzten wir uns um einen Tisch nieder, und es begannen herzliche Gespräche. Am Schlusse sagte Mathilde. »So wäre denn der Bund, den die Herzen unserer Kinder geschlossen haben, auch durch die Beistimmung der Eltern bekräftigt. Der Tag der ewigen Verbindung mag nach ihrem Wunsche und unserer Meinung festgesetzt werden. Wir wollen darüber jetzt nicht sprechen, sondern es der Beratung und Vereinbarung anheimgeben.«
    Nach diesen Worten trennten wir uns und begaben uns in unsere Zimmer.
    Die festlichen Kleider wurden nun abgelegt, und es begann das Besuchsleben, wie es in ähnlichen Verhältnissen, und namentlich, wenn man in so nahe Beziehungen getreten ist, der Fall zu sein pflegt. Mathilde führte nach und nach den Vater und die Mutter in alle Teile des Schlosses, des Gartens, des Meierhofes, der Felder, der Wiesen und der Wälder. Sie zeigte ihnen alle Zimmer des Hauses: ihre Wohnzimmer, die Zimmer mit den alten Geräten, sie zeigte ihnen die Bilder und was sich nur immer in dem Schlosse befand. Sie ging mit ihnen in den Garten: zu den Linden, zu allen Obstbäumen, zu den Blumenbeeten, in die Grotte mit der Brunnennymphe, auf die Eppichwand und in jede Anlage,

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