Werke
er, du bist noch ein Knabe, gehe fort, gehe in die Welt, gehe hin, wo du willst, selbst über das Meer, und wenn du wieder kommst und sie noch willst, sollst du sie haben und in unser Land führen – aber geh, und laß lieber fahren das Scheinding – – – aber, o Clarissa, als ich wieder kam, war er längst tot – von all denen, die um ihn trauerten, waren zwei Augenpaare, die gewiß am heißesten weinten, meines, und sicher auch das meiner fernen Mutter. Ich hab ihn noch einmal gesehen – ich brachte es dahin, daß mir Gruft und Sarg geöffnet wurde. – In den Busen des Kanzlers hatte er die Plane über mich niedergelegt, mit diesem, den Führern und andern mußte ich ein Jahr kämpfen, ein mühselig schleppend Jahr, bis ich mir Freiheit errang, zu tun, wie ich wollte – und dann mein erster Gang – nein, es war ein Fliegen: zu dir – zu dir, um zu fragen, ob du mich hassest – ob du verzeihest – ob du noch liebtest, zu dir ging ich zuerst, dann aber muß ich meine Mutter suchen.«
Seine Augen schwammen in Tränen, welche die fernere Rede erstickten; er wischte mit der Hand darüber und sagte dann unsäglich mild: »Clarissa, du hast dich sehr verändert und bist größer und stattlicher geworden, und fast schöner als damals, so daß ich beinahe den Mut verlor, da ich dich heute sah – Clarissa, tue ab den starren Schmuck, der so traurig um dein liebes Antlitz funkelt, sei wieder das Kind, das mich einst so selig machte nicht wahr, Clarissa, du liebst mich noch? – – – Liebst du mich noch – du, mein schüchtern, mein glühend Kind!« – – Er sah so treuherzig zu ihr hinan, und eine so weiche, unschuldige Seele lag in seinen Zügen, – – daß ihr ganzes Herz voll alter Liebe hinschmolz.
Wie schwach und wie herrlich ist der Mensch, wenn ein allmächtig Gefühl seine Seele bewegt, und ihr mehr Schimmer und Macht verleiht, als im ganzen andern toten Weltall liegt! – Der ganze Wald, die lauschenden Ahornen, die glänzende Steinwand, selbst Johanna und Gregor versanken um Clarissa, wie wesenlose Flitter, nichts war auf der Welt als zwei klopfende Herzen, – allvergessen neigte sie das liebeschimmernde Antlitz und die dunklen, strömenden Augen immer mehr gegen ihn, und in Tönen, worüber Johanna erschrak, sagte sie: »O Ronald, ich liebe dich ja, ich kann mir nicht helfen, und hättest du tausend Fehler, ich liebte dich doch – ich lieb dich unermeßlich, mehr als Vater und Geschwister, mehr als mich selbst und alles, mehr als ich es begreifen kann...«
»Und ich,« erwiderte er, ihr in die Rede fallend, – »siehe, tropfenweise will ich dieses Blut für dich vergießen, ich will gut werden und sanft, wie das Lamm des Feldes, daß ich dich nur verdiene – gehe mit mir in mein Vaterland, oder bleibe hier, ich will auch bleiben – nimm mir mein Leben, nimm mir die Seele aus dem Leibe, damit du nur siehest, wie ich dich liebe. – –«
Er zog sie gegen sich – machtlos folgte sie – und beide zitternd vor Übermacht des Gefühles stürzten sich in die Arme, so fest umschlingend und klammernd, daß seine blonden Locken auf das Samtkleid ihrer Schultern niederwallten.
Die beiden Zeugen dieser Szene sahen sich verwirrt und staunend an – aber Johanna, die bisher mit steigender Angst zugehört hatte, sprang plötzlich auf, und mit den zornesmutigen Tränenfunken in den Augen rief sie: »Clarissa, was tust du denn?!«
Diese, wie aufgeschreckt, fuhr empor, wendete sich um, und wie sie das Kind, dessen Lehrerin und Vorbild sie bisher war, vor sich stehen sah – nein, nicht mehr das Kind, sondern die Jungfrau mit der Purpurglut der Scham im Gesichte, so warf sie sich demütig, und doch strahlend vom Triumphe an ihre Brust. –
Es war eine stumme Pause, man hörte ihr Schluchzen, und das sanfte Wehen des Waldes.
Wie sie endlich das milde Haupt wieder aus der Umarmung hob, erleichtert und verschönert, und wie sie mit den selig schönen Augen Johannen voll Liebe in das Gesicht schaute, diese aber noch immer dastand mit Tränen kämpfend: so trat Gregor hinzu und sagte zu ihr: »Beruhigt Euch nur, liebe Jungfrau, es ist in dem Ganzen kein Arg; denn es ist so der Wille Gottes – darum wird der Mensch Vater und Mutter verlassen und dem Weibe anhängen – es ist schon so Natur – beruhiget Euch nur, und sehet sie freundlich an, die immer so mütterlich liebreich gegen Euch gewesen ist. – Aber du, Ronald, zu dir sage ich ein Wort, du weißt es, wie du in den Wald gekommen bist, wie du
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