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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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Vergleichung ihrer, allein weinerlich genannt zu werden. Denn eben bringen sie es ungefähr so weit, daß uns wird, als ob wir hätten weinen können, wenn der Dichter seine Kunst besser verstanden hätte.
    Melanide ist kein Meisterstück von dieser Gattung; aber man sieht es doch immer mit Vergnügen. Es hat sich, selbst auf dem französischen Theater, erhalten, auf welchem es im Jahre 1741 zuerst gespielt ward. Der Stoff, sagt man, sei aus einem Roman, Mademoiselle de Bontems betitelt, entlehnet. Ich kenne diesen Roman nicht; aber wenn auch die Situation der zweiten Szene des dritten Akts aus ihm genommen ist, so muß ich einen Unbekannten, anstatt des de la Chaussee, um das beneiden, weswegen ich wohl, eine Melanide gemacht zu haben, wünschte.
    Die Übersetzung war nicht schlecht; sie ist unendlich besser, als eine italienische, die in dem zweiten Bande der theatralischen Bibliothek des Diodati stehet. Ich muß es zum Troste des größten Haufens unserer Übersetzer anführen, daß ihre italienischen Mitbrüder meistenteils noch weit elender sind, als sie. Gute Verse indes in gute Prosa übersetzen, erfodert etwas mehr, als Genauigkeit; oder ich möchte wohl sagen, etwas anders. Allzu pünktliche Treue macht jede Übersetzung steif, weil unmöglich alles, was in der einen Sprache natürlich ist, es auch in der andern sein kann. Aber eine Übersetzung aus Versen macht sie zugleich wäßrig und schielend. Denn wo ist der glückliche Versificateur, den nie das Sylbenmaß, nie der Reim, hier etwas mehr oder weniger, dort etwas stärker oder schwächer, früher oder später, sagen ließe, als er es, frei von diesem Zwange, würde gesagt haben? Wenn nun der Übersetzer dieses nicht zu unterscheiden weiß; wenn er nicht Geschmack, nicht Mut genug hat, hier einen Nebenbegriff wegzulassen, da statt der Metapher den eigentlichen Ausdruck zu setzen, dort eine Ellipsis zu ergänzen oder anzubringen: so wird er uns alle Nachlässigkeiten seines Originals überliefert, und ihnen nichts als die Entschuldigung benommen haben, welche die Schwierigkeiten der Symmetrie und des Wohlklanges in der Grundsprache für sie machen.
    Die Rolle der Melanide ward von einer Aktrice gespielet, die nach einer neunjährigen Entfernung vom Theater, aufs neue in allen den Vollkommenheiten wieder erschien, die Kenner und Nichtkenner, mit und ohne Einsicht, ehedem an ihr empfunden und bewundert hatten. Madame Löwen verbindet mit dem silbernen Tone der sonoresten lieblichsten Stimme, mit dem offensten, ruhigsten und gleichwohl ausdruckfähigsten Gesichte von der Welt, das feinste schnellste Gefühl, die sicherste wärmste Empfindung, die sich, zwar nicht immer so lebhaft, als es viele wünschen, doch allezeit mit Anstand und Würde äußert. In ihrer Deklamation accentuiert sie richtig, aber nicht merklich. Der gänzliche Mangel intensiver Accente verursacht Monotonie; aber ohne ihr diese vorwerfen zu können, weiß sie dem sparsamern Gebrauche derselben durch eine andere Feinheit zu Hülfe zu kommen, von der, leider! sehr viele Akteurs ganz und gar nichts wissen. Ich will mich erklären. Man weiß, was in der Musik das Mouvement heißt; nicht der Takt, sondern der Grad der Langsamkeit oder Schnelligkeit, mit welchen der Takt gespielt wird. Dieses Mouvement ist durch das ganze Stück einförmig; in dem nämlichen Maße der Geschwindigkeit, in welchem die ersten Takte gespielet worden, müssen sie alle, bis zu den letzten, gespielet werden. Diese Einförmigkeit ist in der Musik notwendig, weil ein Stück nur einerlei ausdrücken kann, und ohne dieselbe gar keine Verbindung verschiedener Instrumente und Stimmen möglich sein würde. Mit der Deklamation hingegen ist es ganz anders. Wenn wir einen Perioden von mehrern Gliedern, als ein besonderes musikalisches Stück annehmen, und die Glieder als die Takte desselben betrachten, so müssen diese Glieder, auch alsdenn, wenn sie vollkommen gleicher Länge wären, und aus der nämlichen Anzahl von Sylben des nämlichen Zeitmaßes bestünden, dennoch nie mit einerlei Geschwindigkeit gesprochen werden. Denn da sie, weder in Absicht auf die Deutlichkeit und den Nachdruck, noch in Rücksicht auf den in dem ganzen Perioden herrschenden Affekt, von einerlei Wert und Belang sein können: so ist es der Natur gemäß, daß die Stimme die geringfügigern schnell herausstößt, flüchtig und nachlässig darüber hinschlupft; auf den beträchtlichern aber verweilet, sie dehnet und schleift, und jedes Wort, und in jedem

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