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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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Vorteile, nur daß sie ihr das Leben nehmen.
    »Wer fragt: hat sie Verstand? der seh nur ihre Blicke.«
    Recht wohl, wenn man eine Schauspielerin mit großen schönen Augen zu dieser Rolle hat. Nur müssen sich diese schöne Augen wenig oder gar nicht regen; ihre Blicke müssen langsam und stier sein; sie müssen uns, mit ihrem unbeweglichen Brennpunkte, in Flammen setzen wollen, aber nichts sagen.
    »Geh doch einmal herum. – Gut! hieher! – Neige dich!
    Da haben wirs, das fehlt. Nein, sieh! So neigt man sich.«
    Diese Zeilen versteht man ganz falsch, wenn man Charlotten eine bäurische Neige, einen dummen Knix machen läßt. Ihre Verbeugung muß wohl gelernt sein, und wie gesagt, ihrem Tanzmeister keine Schande machen. Frau Praatgern muß sie nur noch nicht affektiert genug finden. Charlotte verbeugt sich, und Frau Praatgern will, sie soll sich dabei zieren. Das ist der ganze Unterschied, und Madame Löwen bemerkte ihn sehr wohl, ob ich gleich nicht glaube, daß die Praatgern sonst eine Rolle für sie ist. Sie kann die feine Frau zu wenig verbergen, und gewissen Gesichtern wollen nichtswürdige Handlungen, dergleichen die Vertauschung einer Tochter ist, durchaus nicht lassen.
    Den eilften Abend (Mittewochs, den 6ten Mai,) ward Miß Sara Sampson aufgeführet.
    Man kann von der Kunst nichts mehr verlangen, als was Madame Henseln in der Rolle der Sara leistet, und das Stück ward überhaupt sehr gut gespielet. Es ist ein wenig zu lang, und man verkürzt es daher auf den meisten Theatern. Ob der Verfasser mit allen diesen Verkürzungen so recht zufrieden ist, daran zweifle ich fast. Man weiß ja, wie die Autores sind; wenn man ihnen auch nur einen Niednagel nehmen will, so schreien sie gleich: Ihr kommt mir ans Leben! Freilich ist der übermäßigen Länge eines Stücks, durch das bloße Weglassen, nur übel abgeholfen, und ich begreife nicht, wie man eine Szene verkürzen kann, ohne die ganze Folge des Dialogs zu ändern. Aber wenn dem Verfasser die fremden Verkürzungen nicht anstehen; so mache er selbst welche, falls es ihm der Mühe wert dünket, und er nicht von denjenigen ist, die Kinder in die Welt setzen, und auf ewig die Hand von ihnen abziehen.
    Madame Henseln starb ungemein anständig; in der malerischsten Stellung; und besonders hat mich ein Zug außerordentlich überrascht. Es ist eine Bemerkung an Sterbenden, daß sie mit den Fingern an ihren Kleidern oder Betten zu rupfen anfangen. Diese Bemerkung machte sie sich auf die glücklichste Art zu Nutze; in dem Augenblicke, da die Seele von ihr wich, äußerte sich auf einmal, aber nur in den Fingern des erstarrten Armes, ein gelinder Spasmus; sie kniff den Rock, der um ein weniges erhoben ward und gleich wieder sank: das letzte Aufflattern eines verlöschenden Lichts; der jüngste Strahl einer untergehenden Sonne. – Wer diese Feinheit in meiner Beschreibung nicht schön findet, der schiebe die Schuld auf meine Beschreibung; aber er sehe sie einmal!
    { ‡ }
Vierzehntes Stück
    Den 16ten Junius, 1767
    Das bürgerliche Trauerspiel hat an dem französischen Kunstrichter, welcher die Sara seiner Nation bekannt gemacht, (4) einen sehr gründlichen Verteidiger gefunden. Die Franzosen billigen sonst selten etwas, wovon sie kein Muster unter sich selbst haben.
    Die Namen von Fürsten und Helden können einem Stücke Pomp und Majestät geben; aber zur Rührung tragen sie nichts bei. Das Unglück derjenigen, deren Umstände den unsrigen am nächsten kommen, muß natürlicher Weise am tiefsten in unsere Seele dringen; und wenn wir mit Königen Mitleiden haben, so haben wir es mit ihnen als mit Menschen, und nicht als mit Königen. Macht ihr Stand schon öfters ihre Unfälle wichtiger, so macht er sie darum nicht interessanter. Immerhin mögen ganze Völker darein verwickelt werden; unsere Sympathie erfodert einen einzeln Gegenstand, und ein Staat ist ein viel zu abstrakter Begriff für unsere Empfindungen.
    »Man tut dem menschlichen Herze Unrecht, sagt auch Marmontel, man verkennet die Natur, wenn man glaubt, daß sie Titel bedürfe, uns zu bewegen und zu rühren. Die geheiligten Namen des Freundes, des Vaters, des Geliebten, des Gatten, des Sohnes, der Mutter, des Menschen überhaupt: diese sind pathetischer, als alles; diese behaupten ihre Rechte immer und ewig. Was liegt daran, welches der Rang, der Geschlechtsname, die Geburt des Unglücklichen ist, den seine Gefälligkeit gegen unwürdige Freunde, und das verführerische Beispiel, ins Spiel verstricket, der

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