Werke
ein ehrliches Mädchen und eine Virtuosin, sein. Nein, sagt Henriette; ich behaupte, daß man das nicht zugleich sein kann. Ich eine Virtuosin!« Man erinnere sich, was Madame Gottsched, anstatt des Worts, Virtuosin, gesetzt hat: ein Wunder. Kein Wunder! sagte man, daß sie das tat. Sie fühlte sich auch so etwas von einer Virtuosin zu sein, und ward über den vermeinten Stich böse. Aber sie hätte nicht böse werden sollen, und was die witzige und gelehrte Henriette, in der Person einer dummen Agnese, sagt, hätte die Frau Professorin immer, ohne Maulspitzen, nachsagen können. Doch vielleicht war ihr nur das fremde Wort, Virtuosin, anstößig; Wunder ist deutscher; zudem gibt es unter unsern Schönen funfzig Wunder gegen eine Virtuosin; die Frau wollte rein und verständlich übersetzen; sie hatte sehr recht.
Den Beschluß dieses Abends machte die stumme Schönheit, von Schlegeln.
Schlegel hatte dieses kleine Stück für das neuerrichtete Kopenhagensche Theater geschrieben, um auf demselben in einer dänischen Übersetzung aufgeführet zu werden. Die Sitten darin sind daher auch wirklich dänischer, als deutsch. Dem ohngeachtet ist es unstreitig unser bestes komisches Original, das in Versen geschrieben ist. Schlegel hatte überall eine eben so fließende als zierliche Versifikation, und es war ein Glück für seine Nachfolger, daß er seine größern Komödien nicht auch in Versen schrieb. Er hätte ihnen leicht das Publikum verwöhnen können, und so würden sie nicht allein seine Lehre, sondern auch sein Beispiel wider sich gehabt haben. Er hatte sich ehedem der gereimten Komödie sehr lebhaft angenommen; und je glücklicher er die Schwierigkeiten derselben überstiegen hätte, desto unwiderleglicher würden seine Gründe geschienen haben. Doch, als er selbst Hand an das Werk legte, fand er ohne Zweifel, wie unsägliche Mühe es koste, nur einen Teil derselben zu übersteigen, und wie wenig das Vergnügen, welches aus diesen überstiegenen Schwierigkeiten entstehet, für die Menge kleiner Schönheiten, die man ihnen aufopfern müsse, schadlos halte. Die Franzosen waren ehedem so ekel, daß man ihnen die prosaischen Stücke des Moliere, nach seinem Tode, in Verse bringen mußte; und noch itzt hören sie ein prosaisches Lustspiel als ein Ding an, das ein jeder von ihnen machen könne. Den Engländer hingegen würde eine gereimte Komödie aus dem Theater jagen. Nur die Deutschen sind auch hierin, soll ich sagen billiger, oder gleichgültiger? Sie nehmen an, was ihnen der Dichter vorsetzt. Was wäre es auch, wenn sie itzt schon wählen und ausmustern wollten?
Die Rolle der stummen Schöne hat ihre Bedenklichkeiten. Eine stumme Schöne, sagt man, ist nicht notwendig eine dumme, und die Schauspielerin hat Unrecht, die eine alberne plumpe Dirne daraus macht. Aber Schlegels stumme Schönheit ist allerdings dumm zugleich; denn daß sie nichts spricht, kömmt daher, weil sie nichts denkt. Das Feine dabei würde also dieses sein, daß man sie überall, wo sie, um artig zu scheinen, denken müßte, unartig machte, dabei aber ihr alle die Artigkeiten ließe, die bloß mechanisch sind, und die sie, ohne viel zu denken, haben könnte. Ihr Gang z.E. ihre Verbeugungen, brauchen gar nicht bäurisch zu sein; sie können so gut und zierlich sein, als sie nur immer ein Tanzmeister lehren kann; denn warum sollte sie von ihrem Tanzmeister nichts gelernt haben, da sie sogar Quadrille gelernt hat? Und sie muß Quadrille nicht schlecht spielen; denn sie rechnet fest darauf, dem Papa das Geld abzugewinnen. Auch ihre Kleidung muß weder altvätrisch, noch schlumpicht sein; denn Frau Praatgern sagt ausdrücklich:
»Bist du vielleicht nicht wohl gekleidet? – Laß doch sehn!
Nun! – dreh dich um! – das ist ja gut, und sitzt galant.
Was sagt denn der Phantast, dir fehlte der Verstand?«
In dieser Musterung der Fr. Praatgern überhaupt, hat der Dichter deutlich genug bemerkt, wie er das Äußerliche seiner stummen Schöne zu sein wünsche. Gleichfalls schön, nur nicht so reizend.
»Laß sehn, wie trägst du dich? – Den Kopf nicht so zurücke!«
Dummheit ohne Erziehung hält den Kopf mehr vorwärts, als zurück; ihn zurück halten, lehrt der Tanzmeister; man muß also Charlotten den Tanzmeister ansehen, und je mehr, je besser; denn das schadet ihrer Stummheit nichts, vielmehr sind die zierlich steifen Tanzmeistermanieren gerade die, welche der stummen Schönheit am meisten entsprechen; sie zeigen die Schönheit in ihrem besten
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