Werke
erkennet, und es an sich selbst rächet: wenn diese schmeichelnde Ideen das schöne Geschlecht nicht bestechen, durch was ließe es sich denn bestechen?
Die Liebe selbst hat Voltairen die Zayre diktiert: sagt ein Kunstrichter artig genug. Richtiger hätte er gesagt: die Galanterie. Ich kenne nur eine Tragödie, an der die Liebe selbst arbeiten helfen; und das ist Romeo und Juliet, vom Shakespeare. Es ist wahr, Voltaire läßt seine verliebte Zayre ihre Empfindungen sehr fein, sehr anständig ausdrücken; aber was ist dieser Ausdruck gegen jenes lebendige Gemälde aller der kleinsten geheimsten Ränke, durch die sich die Liebe in unsere Seele einschleicht, aller der unmerklichen Vorteile, die sie darin gewinnet, aller der Kunstgriffe, mit denen sie jede andere Leidenschaft unter sich bringt, bis sie der einzige Tyrann aller unserer Begierden und Verabscheuungen wird? Voltaire verstehet, wenn ich so sagen darf, den Kanzleistil der Liebe vortrefflich; das ist, diejenige Sprache, denjenigen Ton der Sprache, den die Liebe braucht, wenn sie sich auf das behutsamste und gemessenste ausdrücken will, wenn sie nichts sagen will, als was sie bei der spröden Sophistin und bei dem kalten Kunstrichter verantworten kann. Aber der beste Kanzeliste weiß von den Geheimnissen der Regierung nicht immer das meiste; oder hat gleichwohl Voltaire in das Wesen der Liebe eben die tiefe Einsicht, die Shakespeare gehabt, so hat er sie wenigstens hier nicht zeigen wollen, und das Gedicht ist weit unter dem Dichter geblieben.
Von der Eifersucht läßt sich ohngefähr eben das sagen. Der eifersüchtige Orosmann spielt, gegen den eifersüchtigen Othello des Shakespeare, eine sehr kahle Figur. Und doch ist Othello offenbar das Vorbild des Orosmann gewesen. Cibber sagt, (5) Voltaire habe sich des Brandes bemächtiget, der den tragischen Scheiterhaufen des Shakespeare in Glut gesetzt. Ich hätte gesagt: eines Brandes aus diesem flammenden Scheiterhaufen; und noch dazu eines, der mehr dampft, als leuchtet und wärmet. Wir hören in dem Orosmann einen Eifersüchtigen reden, wir sehen ihn die rasche Tat eines Eifersüchtigen begehen; aber von der Eifersucht selbst lernen wir nicht mehr und nicht weniger, als wir vorher wußten. Othello hingegen ist das vollständigste Lehrbuch über diese traurige Raserei; da können wir alles lernen, was sie angeht, sie erwecken und sie vermeiden.
Aber ist es denn immer Shakespeare, werden einige meiner Leser fragen, immer Shakespeare, der alles besser verstanden hat, als die Franzosen? Das ärgert uns; wir können ihn ja nicht lesen. – Ich ergreife diese Gelegenheit, das Publikum an etwas zu erinnern, das es vorsetzlich vergessen zu wollen scheinet. Wir haben eine Übersetzung vom Shakespeare. Sie ist noch kaum fertig geworden, und niemand bekümmert sich schon mehr darum. Die Kunstrichter haben viel Böses davon gesagt. Ich hätte große Lust, sehr viel Gutes davon zu sagen. Nicht, um diesen gelehrten Männern zu widersprechen; nicht, um die Fehler zu verteidigen, die sie darin bemerkt haben: sondern, weil ich glaube, daß man von diesen Fehlern kein solches Aufheben hätte machen sollen. Das Unternehmen war schwer; ein jeder anderer, als Herr Wieland, würde in der Eil noch öftrer verstoßen, und aus Unwissenheit oder Bequemlichkeit noch mehr überhüpft haben; aber was er gut gemacht hat, wird schwerlich jemand besser machen. So wie er uns den Shakespeare geliefert hat, ist es noch immer ein Buch, das man unter uns nicht genug empfehlen kann. Wir haben an den Schönheiten, die es uns liefert, noch lange zu lernen, ehe uns die Flecken, mit welchen es sie liefert, so beleidigen, daß wir notwendig eine bessere Übersetzung haben müßten.
Doch wieder zur Zayre. Der Verfasser brachte sie im Jahre 1733 auf die Pariser Bühne; und drei Jahr darauf ward sie ins Englische übersetzt, und auch in London auf dem Theater in Drury-Lane gespielt. Der Übersetzer war Aaron Hill, selbst ein dramatischer Dichter, nicht von der schlechtesten Gattung. Voltaire fand sich sehr dadurch geschmeichelt, und was er, in dem ihm eigenen Tone der stolzen Bescheidenheit, in der Zuschrift seines Stücks an den Engländer Falkener, davon sagt, verdient gelesen zu werden. Nur muß man nicht alles für vollkommen so wahr annehmen, als er es ausgibt. Wehe dem, der Voltairens Schriften überhaupt nicht mit dem skeptischen Geiste lieset, in welchem er einen Teil derselben geschrieben hat!
Er sagt z.E. zu seinem englischen Freunde: »Eure
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