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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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Schauspielerin, welche die Zayre spielte, eine Anfängerin war. Die junge reizende Mademoisell Gossin ward auf einmal dadurch berühmt, und selbst Voltaire ward so entzückt über sie, daß er sein Alter recht kläglich betauerte.
    Die Rolle des Orosmann hatte ein Anverwandter des Hill übernommen, der kein Komödiant von Profession, sondern ein Mann von Stande war. Er spielte aus Liebhaberei, und machte sich nicht das geringste Bedenken, öffentlich aufzutreten, um ein Talent zu zeigen, das so schätzbar als irgend ein anders ist. In England sind dergleichen Exempel von angesehenen Leuten, die zu ihrem bloßen Vergnügen einmal mitspielen, nicht selten. »Alles was uns dabei befremden sollte, sagt der Hr. von Voltaire, ist dieses, daß es uns befremdet. Wir sollten überlegen, daß alle Dinge in der Welt von der Gewohnheit und Meinung abhangen. Der französische Hof hat ehedem auf dem Theater mit den Opernspielern getanzt; und man hat weiter nichts besonders dabei gefunden, als daß diese Art von Lustbarkeit aus der Mode gekommen. Was ist zwischen den beiden Künsten für ein Unterschied, als daß die eine über die andere eben so weit erhaben ist, als es Talente, welche vorzügliche Seelenkräfte erfodern, über bloß körperliche Fertigkeiten sind?«
    Ins Italienische hat der Graf Gozzi die Zayre übersetzt; sehr genau und sehr zierlich; sie stehet in dem dritten Teile seiner Werke. In welcher Sprache können zärtliche Klagen rührender klingen, als in dieser? Mit der einzigen Freiheit, die sich Gozzi gegen das Ende des Stücks genommen, wird man schwerlich zufrieden sein. Nachdem sich Orosmann erstochen, läßt ihn Voltaire nur noch ein Paar Worte sagen, uns über das Schicksal des Nerestan zu beruhigen. Aber was tut Gozzi? Der Italiener fand es ohne Zweifel zu kalt, einen Türken so gelassen wegsterben zu lassen. Er legt also den Orosmann noch eine Tirade in den Mund, voller Ausrufungen, voller Winseln und Verzweiflung. Ich will sie der Seltenheit halber unter den Text setzen. (7) Es ist doch sonderbar, wie weit sich hier der deutsche Geschmack von dem welschen entfernet! Dem Welschen ist Voltaire zu kurz; uns Deutschen ist er zu lang. Kaum hat Orosmann gesagt »verehret und gerochen;« kaum hat er sich den tödlichen Stoß beigebracht, so lassen wir den Vorhang niederfallen. Ist es denn aber auch wahr, daß der deutsche Geschmack dieses so haben will? Wir machen dergleichen Verkürzung mit mehrern Stücken; aber warum machen wir sie? Wollen wir denn im Ernst, daß sich ein Trauerspiel wie ein Epigramm schließen soll? Immer mit der Spitze des Dolchs, oder mit dem letzten Seufzer des Helden? Woher kömmt uns gelassenen, ernsten Deutschen die flatternde Ungeduld, sobald die Exekution vorbei, durchaus nun weiter nichts hören zu wollen, wenn es auch noch so wenige, zur völligen Rundung des Stücks noch so unentbehrliche Worte wären? Doch ich forsche vergebens nach der Ursache einer Sache, die nicht ist. Wir hätten kalt Blut genug, den Dichter bis ans Ende zu hören, wenn es uns der Schauspieler nur zutrauen wollte. Wir würden recht gern die letzten Befehle des großmütigen Sultans vernehmen; recht gern die Bewunderung und das Mitleid des Nerestan noch teilen: aber wir sollen nicht. Und warum sollen wir nicht? Auf dieses warum, weiß ich kein darum. Sollten wohl die Orosmannsspieler daran Schuld sein? Es wäre begreiflich genug, warum sie gern das letzte Wort haben wollten. Erstochen und geklatscht! Man muß Künstlern kleine Eitelkeiten verzeihen.
    Bei keiner Nation hat die Zayre einen schärfern Kunstrichter gefunden, als unter den Holländern. Friedrich Duim, vielleicht ein Anverwandter des berühmten Akteurs dieses Namens auf dem Amsterdamer Theater, fand so viel daran auszusetzen, daß er es für etwas kleines hielt, eine bessere zu machen. Er machte auch wirklich eine – andere, (8) in der die Bekehrung der Zayre das Hauptwerk ist, und die sich damit endet, daß der Sultan über seine Liebe sieget, und die christliche Zayre mit aller der Pracht in ihr Vaterland schicket, die ihrer vorgehabten Erhöhung gemäß ist; der alte Lusignan stirbt vor Freuden. Wer ist begierig, mehr davon zu wissen? Der einzige unverzeihliche Fehler eines tragischen Dichters ist dieser, daß er uns kalt läßt; er interessiere uns, und mache mit den kleinen mechanischen Regeln, was er will. Die Duime können wohl tadeln, aber den Bogen des Ulysses müssen sie nicht selber spannen wollen. Dieses sage ich darum, weil ich nicht

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