Werke
gern zurück, von der mißlungenen Verbesserung auf den Ungrund der Kritik, geschlossen wissen möchte. Duims Tadel ist in vielen Stücken ganz gegründet; besonders hat er die Unschicklichkeiten, deren sich Voltaire in Ansehung des Orts schuldig macht, und das Fehlerhafte in dem nicht genugsam motivierten Auftreten und Abgehen der Personen, sehr wohl angemerkt. Auch ist ihm die Ungereimtheit der sechsten Szene im dritten Akte nicht entgangen. »Orosmann, sagt er, kömmt, Zayren in die Moschee abzuholen; Zayre weigert sich, ohne die geringste Ursache von ihrer Weigerung anzuführen; sie geht ab, und Orosmann bleibt als ein Laffe (als eenen lafhartigen) stehen. Ist das wohl seiner Würde gemäß? Reimet sich das wohl mit seinem Charakter? Warum dringt er nicht in Zayren, sich deutlicher zu erklären? Warum folgt er ihr nicht in das Seraglio? Durfte er ihr nicht dahin folgen?« – Guter Duim! wenn sich Zayre deutlicher erkläret hätte: wo hätten denn die andern Akte sollen herkommen? Wäre nicht die ganze Tragödie darüber in die Bilze gegangen? – Ganz Recht! auch die zweite Szene des vierten Akts ist eben so abgeschmackt: Orosmann kömmt wieder zu Zayren; Zayre geht abermals, ohne die geringste nähere Erklärung, ab, und Orosmann, der gute Schlucker, (dien goeden hals) tröstet sich desfalls in einer Monologe. Aber, wie gesagt, die Verwickelung, oder Ungewißheit, mußte doch bis zum fünften Aufzuge hinhalten; und wenn die ganze Katastrophe an einem Haare hängt, so hängen mehr wichtige Dinge in der Welt an keinem stärkern.
Die letzterwähnte Szene ist sonst diejenige, in welcher der Schauspieler, der die Rolle des Orosmann hat, seine feinste Kunst in alle dem bescheidenen Glanze zeigen kann, in dem sie nur ein eben so feiner Kenner zu empfinden fähig ist. Er muß aus einer Gemütsbewegung in die andere übergehen, und diesen Übergang durch das stumme Spiel so natürlich zu machen wissen, daß der Zuschauer durchaus durch keinen Sprung, sondern durch eine zwar schnelle, aber doch dabei merkliche Gradation mit fortgerissen wird. Erst zeiget sich Orosmann in aller seiner Großmut, willig und geneigt, Zayren zu vergeben, wann ihr Herz bereits eingenommen sein sollte, Falls sie nur aufrichtig genug ist, ihm länger kein Geheimnis davon zu machen. Indem erwacht seine Leidenschaft aufs neue, und er fodert die Aufopferung seines Nebenbuhlers. Er wird zärtlich genug, sie unter dieser Bedingung aller seiner Huld zu versichern. Doch da Zayre auf ihrer Unschuld bestehet, wider die er so offenbar Beweise zu haben glaubet, bemeistert sich seiner nach und nach der äußerste Unwille. Und so geht er von dem Stolze zur Zärtlichkeit, und von der Zärtlichkeit zur Erbitterung über. Alles was Remond de Saint Albine, in seinem Schauspieler, (9) hierbei beobachtet wissen will, leistet Hr. Eckhof auf eine so vollkommene Art, daß man glauben sollte, er allein könne das Vorbild des Kunstrichters gewesen sein.
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Siebzehntes Stück
Den 26sten Junius, 1767
Den siebzehnten Abend (Donnerstags, den 14ten Mai,) ward der Sidney, vom Gresset, aufgeführet.
Dieses Stück kam im Jahre 1745 zuerst aufs Theater. Ein Lustspiel wider den Selbstmord, konnte in Paris kein großes Glück machen. Die Franzosen sagten: es wäre ein Stück für London. Ich weiß auch nicht; denn die Engländer dürften vielleicht den Sidney ein wenig unenglisch finden; er geht nicht rasch genug zu Werke; er philosophiert, ehe er die Tat begeht, zu viel, und nachdem er sie begangen zu haben glaubt, zu wenig; seine Reue könnte schimpflicher Kleinmut scheinen; ja, sich von einem französischen Bedienten so angeführt zu sehen, möchte von manchen für eine Beschämung gehalten werden, die des Hängens allein würdig wäre.
Doch so wie das Stück ist, scheinet es für uns Deutsche recht gut zu sein. Wir mögen eine Raserei gern mit ein wenig Philosophie bemänteln, und finden es unserer Ehre eben nicht nachteilig, wenn man uns von einem dummen Streiche zurückhält, und das Geständnis, falsch philosophiert zu haben, uns abgewinnet. Wir werden daher dem Dümont, ob er gleich ein französischer Prahler ist, so herzlich gut, daß uns die Etiquette, welche der Dichter mit ihm beobachtet, beleidiget. Denn indem es Sidney nun erfährt, daß er durch die Vorsicht desselben dem Tode nicht näher ist, als der gesundesten einer, so läßt ihn Gresset ausrufen: »Kaum kann ich es glauben – Rosalia! – Hamilton! – und du, dessen glücklicher Eifer u.s.w.«
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