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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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Täuschung muß sehr schwach sein, man muß wenig Natur, aber desto mehr Künstelei empfinden, wenn man so neugierig nach dem Künstler ist. So wenig schmeichelhaft also im Grunde für einen Mann von Genie das Verlangen des Publikums, ihn von Person zu kennen, sein müßte: (und was hat er dabei auch wirklich vor dem ersten dem besten Murmeltiere voraus, welches der Pöbel gesehen zu haben, eben so begierig ist?) so wohl scheinet sich doch die Eitelkeit der französischen Dichter dabei befunden zu haben. Denn da das Pariser Parterr sahe, wie leicht ein Voltaire in diese Falle zu locken sei, wie zahm und geschmeidig so ein Mann durch zweideutige Caressen werden könne: so machte es sich dieses Vergnügen öftrer, und selten ward nachher ein neues Stück aufgeführt, dessen Verfasser nicht gleichfalls hervor mußte, und auch ganz gern hervor kam. Von Voltairen bis zum Marmontel, und vom Marmontel bis tief herab zum Cordier, haben fast alle an diesem Pranger gestanden. Wie manches Armesündergesichte muß darunter gewesen sein! Der Posse ging endlich so weit, daß sich die Ernsthaftern von der Nation selbst darüber ärgerten. Der sinnreiche Einfall des weisen Polichinell ist bekannt. Und nur erst ganz neulich war ein junger Dichter kühn genug, das Parterr vergebens nach sich rufen zu lassen. Er erschien durchaus nicht; sein Stück war mittelmäßig, aber dieses sein Betragen desto braver und rühmlicher. Ich wollte durch mein Beispiel einen solchen Übelstand lieber abgeschafft, als durch zehn Meropen ihn veranlaßt haben.
    { ‡ }
Sieben und dreißigstes Stück
    Den 4ten September, 1767
    Ich habe gesagt, daß Voltairens Merope durch die Merope des Maffei veranlasset worden. Aber veranlasset, sagt wohl zu wenig: denn jene ist ganz aus dieser entstanden; Fabel und Plan und Sitten gehören dem Maffei; Voltaire würde ohne ihn gar keine, oder doch sicherlich eine ganz andere Merope geschrieben haben.
    Also, um die Kopie des Franzosen richtig zu beurteilen, müssen wir zuvörderst das Original des Italieners kennen lernen; und um das poetische Verdienst des letztern gehörig zu schätzen, müssen wir vor allen Dingen einen Blick auf die historischen Facta werfen, auf die er seine Fabel gegründet hat.
    Maffei selbst fasset diese Facta, in der Zueignungsschrift seines Stückes, folgender Gestalt zusammen. »Daß, einige Zeit nach der Eroberung von Troja, als die Herakliden, d. i. die Nachkommen des Herkules, sich in Peloponnesus wieder festgesetzet, dem Kresphont das Messenische Gebiete durch das Los zugefallen; daß die Gemahlin dieses Kresphonts Merope geheißen; daß Kresphont, weil er dem Volke sich allzu günstig erwiesen, von den Mächtigern des Staates, mit samt seinen Söhnen umgebracht worden, den jüngsten ausgenommen, welcher auswärts bei einem Anverwandten seiner Mutter erzogen ward; daß dieser jüngste Sohn, Namens Aepytus, als er erwachsen, durch Hülfe der Arkader und Dorier, sich des väterlichen Reiches wieder bemächtiget, und den Tod seines Vaters an dessen Mördern gerächet habe: dieses erzählet Pausanias. Daß, nachdem Kresphont mit seinen zwei Söhnen umgebracht worden, Polyphont, welcher gleichfalls aus dem Geschlechte der Herakliden war, die Regierung an sich gerissen; daß dieser die Merope gezwungen, seine Gemahlin zu werden; daß der dritte Sohn, den die Mutter in Sicherheit bringen lassen, den Tyrannen nachher umgebracht und das Reich wieder erobert habe: dieses berichtet Apollodorus. Daß Merope selbst den geflüchteten Sohn unbekannter Weise töten wollen; daß sie aber noch in dem Augenblicke von einem alten Diener daran verhindert worden, welcher ihr entdeckt, daß der, den sie für den Mörder ihres Sohnes halte, ihr Sohn selbst sei; daß der nun erkannte Sohn bei einem Opfer Gelegenheit gefunden, den Polyphont hinzurichten: dieses meldet Hyginus, bei dem Aepytus aber den Namen Telephontes führet.«
    Es wäre zu verwundern, wenn eine solche Geschichte, die so besondere Glückswechsel und Erkennungen hat, nicht schon von den alten Tragicis wäre genutzt worden. Und was sollte sie nicht? Aristoteles, in seiner Dichtkunst, gedenkt eines Kresphontes, in welchem Merope ihren Sohn erkenne, eben da sie im Begriffe sei, ihn als den vermeinten Mörder ihres Sohnes umzubringen; und Plutarch, in seiner zweiten Abhandlung vom Fleischessen, zielet ohne Zweifel auf eben dieses Stück, (22) wenn er sich auf die Bewegung beruft, in welche das ganze Theater gerate, indem Merope die Axt gegen ihren Sohn

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