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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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pressen sich folglich weniger; sie eilen, aber sie übereilen sich nicht. Voltairens Polyphont ist ein Ephemeron von einem Könige, der schon darum den zweiten Tag nicht zu regieren verdienet, weil er den ersten seine Sache so gar albern und dumm anfängt.
    3. Maffei, sagt Lindelle, verbinde öfters die Szenen nicht, und das Theater bleibe leer; ein Fehler, den man heut zu Tage auch den geringsten Poeten nicht verzeihe. »Die Verbindung der Szenen, sagt Corneille, ist eine große Zierde eines Gedichts, und nichts kann uns von der Stetigkeit der Handlung besser versichern, als die Stetigkeit der Vorstellung. Sie ist aber doch nur eine Zierde, und keine Regel; denn die Alten haben sich ihr nicht immer unterworfen u.s.w.« Wie? ist die Tragödie bei den Franzosen seit ihrem großen Corneille so viel vollkommener geworden, daß das, was dieser bloß für eine mangelnde Zierde hielt, nunmehr ein unverzeihlicher Fehler ist? Oder haben die Franzosen seit ihm das Wesentliche der Tragödie noch mehr verkennen gelernt, daß sie auf Dinge einen so großen Wert legen, die im Grunde keinen haben? Bis uns diese Frage entschieden ist, mag Corneille immer wenigstens eben so glaubwürdig sein, als Lindelle; und was, nach jenem, also eben noch kein ausgemachter Fehler bei dem Maffei ist, mag gegen den minder streitigen des Voltaire aufgehen, nach welchem er das Theater öfters länger voll läßt, als es bleiben sollte. Wenn z. E., in dem ersten Akte, Polyphont zu der Königin kömmt, und die Königin mit der dritten Szene abgeht, mit was für Recht kann Polyphont in dem Zimmer der Königin verweilen? Ist dieses Zimmer der Ort, wo er sich gegen seinen Vertrauten so frei herauslassen sollte? Das Bedürfnis des Dichters verrät sich in der vierten Szene gar zu deutlich, in der wir zwar Dinge erfahren, die wir notwendig wissen müssen, nur daß wir sie an einem Orte erfahren, wo wir es nimmermehr erwartet hätten.
    4. Maffei motiviert das Auftreten und Abgehen seiner Personen oft gar nicht: – und Voltaire motiviert es eben so oft falsch; welches wohl noch schlimmer ist. Es ist nicht genug, daß eine Person sagt, warum sie kömmt, man muß auch aus der Verbindung einsehen, daß sie darum kommen müssen. Es ist nicht genug, daß sie sagt, warum sie abgeht, man muß auch in dem Folgenden sehen, daß sie wirklich darum abgegangen ist. Denn sonst ist das, was ihr der Dichter desfalls in den Mund legt, ein bloßer Vorwand, und keine Ursache. Wenn z. E. Eurikles in der dritten Szene des zweiten Akts abgeht, um, wie er sagt, die Freunde der Königin zu versammeln; so müßte man von diesen Freunden und von dieser ihrer Versammlung auch hernach etwas hören. Da wir aber nichts davon zu hören bekommen, so ist sein Vorgeben ein schülerhaftes Peto veniam exeundi, mit der ersten besten Lügen, die dem Knaben einfällt. Er geht nicht ab, um das zu tun, was er sagt, sondern um, ein Paar Zeilen darauf, mit einer Nachricht wiederkommen zu können, die der Poet durch keinen andern erteilen zu lassen wußte. Noch ungeschickter geht Voltaire mit dem Schlusse ganzer Akte zu Werke. Am Ende des dritten sagt Polyphont zu Meropen, daß der Altar ihrer erwarte, daß zu ihrer feierlichen Verbindung schon alles bereit sei; und so geht er mit einem Venez, Madame ab. Madame aber folgt ihm nicht, sondern geht mit einer Exklamation zu einer andern Coulisse hinein; worauf Polyphont den vierten Akt wieder anfängt, und nicht etwa seinen Unwillen äußert, daß ihm die Königin nicht in den Tempel gefolgt ist, (denn er irrte sich, es hat mit der Trauung noch Zeit,) sondern wiederum mit seinem Erox Dinge plaudert, über die er nicht hier, über die er zu Hause in seinem Gemache, mit ihm hätte schwatzen sollen. Nun schließt auch der vierte Akt, und schließt vollkommen wie der dritte. Polyphont zitiert die Königin nochmals nach dem Tempel, Merope selbst schreiet,
    Courons tous vers le temple ou m’attend mon outrage;
    und zu den Opferpriestern, die sie dahin abholen sollen, sagt sie,
    Vous venez à l’autel entrainer la victime.
    Folglich werden sie doch gewiß zu Anfange des fünften Akts in dem Tempel sein, wo sie nicht schon gar wieder zurück sind? Keines von beiden; gut Ding will Weile haben; Polyphont hat noch etwas vergessen, und kömmt noch einmal wieder, und schickt auch die Königin noch einmal wieder. Vortrefflich! Zwischen dem dritten und vierten, und zwischen dem vierten und fünften Akte geschieht demnach nicht allein das nicht, was geschehen sollte;

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