Werke
uns, was bloß physikalischer Weise möglich ist, denn wahrscheinlich werden? Der Staat will sich einen König wählen; Polyphont und der abwesende Aegisth können allein dabei in Betrachtung kommen; um die Ansprüche des Aegisth zu vereiteln, will Polyphont die Mutter desselben heiraten; an eben demselben Tage, da die Wahl geschehen soll, macht er ihr den Antrag; sie weiset ihn ab; die Wahl geht vor sich, und fällt für ihn aus; Polyphont ist also König, und man sollte glauben, Aegisth möge nunmehr erscheinen, wenn er wolle, der neuerwählte König könne es, vors erste, mit ihm ansehen. Nichtsweniger; er bestehet auf der Heirat, und bestehet darauf, daß sie noch desselben Tages vollzogen werden soll; eben des Tages, an dem er Meropen zum erstenmale seine Hand angetragen; eben des Tages, da ihn das Volk zum Könige ausgerufen. Ein so alter Soldat, und ein so hitziger Freier! Aber seine Freierei ist nichts als Politik. Desto schlimmer; diejenige, die er in sein Interesse verwickeln will, so zu mißhandeln! Merope hatte ihm ihre Hand verweigert, als er noch nicht König war, als sie glauben mußte, daß ihn ihre Hand vornehmlich auf den Thron verhelfen sollte; aber nun ist er König, und ist es geworden, ohne sich auf den Titel ihres Gemahls zu gründen; er wiederhole seinen Antrag, und vielleicht gibt sie es näher; er lasse ihr Zeit, den Abstand zu vergessen, der sich ehedem zwischen ihnen befand, sich zu gewöhnen, ihn als ihres gleichen zu betrachten, und vielleicht ist nur kurze Zeit dazu nötig. Wenn er sie nicht gewinnen kann, was hilft es ihn, sie zu zwingen? Wird es ihren Anhängern unbekannt bleiben, daß sie gezwungen worden? Werden sie ihn nicht auch darum hassen zu müssen glauben? Werden sie nicht auch darum dem Aegisth, sobald er sich zeigt, beizutreten, und in seiner Sache zugleich die Sache seiner Mutter zu betreiben, sich für verbunden achten? Vergebens, daß das Schicksal dem Tyrannen, der ganzer funfzehn Jahr sonst so bedächtlich zu Werke gegangen, diesen Aegisth nun selbst in die Hände liefert, und ihm dadurch ein Mittel, den Thron ohne alle Ansprüche zu besitzen, anbietet, das weit kürzer, weit unfehlbarer ist, als die Verbindung mit seiner Mutter: es soll und muß geheiratet sein, und noch heute, und noch diesen Abend; der neue König will bei der alten Königin noch diese Nacht schlafen, oder es geht nicht gut. Kann man sich etwas komischeres denken? In der Vorstellung, meine ich; denn daß es einem Menschen, der nur einen Funken von Verstande hat, einkommen könne, wirklich so zu handeln, widerlegt sich von selbst. Was hilft es nun also dem Dichter, daß die besondern Handlungen eines jeden Akts zu ihrer wirklichen Eräugnung ungefähr nicht viel mehr Zeit brauchen würden, als auf die Vorstellung dieses Aktes geht; und daß diese Zeit mit der, welche auf die Zwischenakte gerechnet werden muß, noch lange keinen völligen Umlauf der Sonne erfodert: hat er darum die Einheit der Zeit beobachtet? Die Worte dieser Regel hat er erfüllt, aber nicht ihren Geist. Denn was er an einem Tage tun läßt, kann zwar an einem Tage getan werden, aber kein vernünftiger Mensch wird es an einem Tage tun. Es ist an der physischen Einheit der Zeit nicht genug; es muß auch die moralische dazu kommen, deren Verletzung allen und jeden empfindlich ist, anstatt daß die Verletzung der erstern, ob sie gleich meistens eine Unmöglichkeit involvieret, dennoch nicht immer so allgemein anstößig ist, weil diese Unmöglichkeit vielen unbekannt bleiben kann. Wenn z. E. in einem Stücke, von einem Orte zum andern gereiset wird, und diese Reise allein mehr als einen ganzen Tag erfodert, so ist der Fehler nur denen merklich, welche den Abstand des einen Ortes von dem andern wissen. Nun aber wissen nicht alle Menschen die geographischen Distanzen; aber alle Menschen können es an sich selbst merken, zu welchen Handlungen man sich einen Tag, und zu welchen man sich mehrere nehmen sollte. Welcher Dichter also die physische Einheit der Zeit nicht anders als durch Verletzung der moralischen zu beobachten verstehet, und sich kein Bedenken macht, diese jener aufzuopfern, der verstehet sich sehr schlecht auf seinem Vorteil, und opfert das Wesentlichere dem Zufälligen auf. – Maffei nimmt doch wenigstens noch eine Nacht zu Hülfe; und die Vermählung, die Polyphont der Merope heute andeutet, wird erst den Morgen darauf vollzogen. Auch ist es bei ihm nicht der Tag, an welchem Polyphont den Thron besteiget; die Begebenheiten
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