Werke
versenken, die es entkräften und weibisch machen können; die größten Verbrechen, unter dem Scheine des Mitleids und der Gnade, ungestraft zu lassen u.s.w. wenn es einen Tyrannen gibt, der diesen unsinnigen Weg zu regieren einschlägt, wird er sich dessen auch rühmen? So schildert man die Tyrannen in einer Schulübung; aber so hat noch keiner von sich selbst gesprochen. (39) – Es ist wahr, so gar frostig und wahnwitzig läßt Voltaire seinen Polyphont nicht deklamieren; aber mit unter läßt er ihn doch auch Dinge sagen, die gewiß kein Mann von dieser Art über die Zunge bringt. Z. E.
– Des Dieux quelquefois la longue patience
Fait sur nous à pas lents descendre la vengence –
Ein Polyphont sollte diese Betrachtung wohl machen; aber er macht sie nie. Noch weniger wird er sie in dem Augenblicke machen, da er sich zu neuen Verbrechen aufmuntert:
Eh bien, encor ce crime! – –
Wie unbesonnen, und in den Tag hinein, er gegen Meropen handelt, habe ich schon berührt. Sein Betragen gegen den Aegisth sieht einem eben so verschlagnen als entschlossenen Manne, wie ihn uns der Dichter von Anfange schildert, noch weniger ähnlich. Aegisth hätte bei dem Opfer gerade nicht erscheinen müssen. Was soll er da? Ihm Gehorsam schwören? In den Augen des Volks? Unter dem Geschrei seiner verzweifelnden Mutter? Wird da nicht unfehlbar geschehen, was er zuvor selbst besorgte? (40) Er hat sich für seine Person alles von dem Aegisth zu versehen; Aegisth verlangt nur sein Schwert wieder, um den ganzen Streit zwischen ihnen mit eins zu entscheiden; und diesen tollkühnen Aegisth läßt er sich an dem Altare, wo das erste das beste, was ihm in die Hand fällt, ein Schwert werden kann, so nahe kommen? Der Polyphont des Maffei ist von diesen Ungereimtheiten frei; denn dieser kennt den Aegisth nicht, und hält ihn für seinen Freund. Warum hätte Aegisth sich ihm also bei dem Altare nicht nähern dürfen? Niemand gab auf seine Bewegungen Acht; der Streich war geschehen, und er zu dem zweiten schon bereit, ehe es noch einem Menschen einkommen konnte, den ersten zu rächen.
»Merope, sagt Lindelle, wenn sie bei dem Maffei erfährt, daß ihr Sohn ermordet sei, will dem Mörder das Herz aus dem Leibe reißen, und es mit ihren Zähnen zerfleischen. (41) Das heißt, sich wie eine Kannibalin, und nicht wie eine betrübte Mutter ausdrücken; das Anständige muß überall beobachtet werden.« Ganz recht; aber obgleich die französische Merope delikater ist, als daß sie so in ein rohes Herz, ohne Salz und Schmalz, beißen sollte: so dünkt mich doch, ist sie im Grunde eben so gut Kannibalin, als die Italienische. –
{ ‡ }
Sieben und vierzigstes Stück
Den 9ten Oktober, 1767
Und wie das? – Wenn es unstreitig ist, daß man den Menschen mehr nach seinen Taten, als nach seinen Reden richten muß; daß ein rasches Wort, in der Hitze der Leidenschaft ausgestoßen, für seinen moralischen Charakter wenig, eine überlegte kalte Handlung aber alles beweiset: so werde ich wohl Recht haben. Merope, die sich in der Ungewißheit, in welcher sie von dem Schicksale ihres Sohnes ist, dem bangsten Kummer überläßt, die immer das Schrecklichste besorgt, und in der Vorstellung, wie unglücklich ihr abwesender Sohn vielleicht sei, ihr Mitleid über alle Unglückliche erstrecket: ist das schöne Ideal einer Mutter. Merope, die in dem Augenblicke, da sie den Verlust des Gegenstandes ihrer Zärtlichkeit erfährt, von ihrem Schmerze betäubt dahin sinkt, und plötzlich, sobald sie den Mörder in ihrer Gewalt höret, wieder aufspringt, und tobet, und wütet, und die blutigste schrecklichste Rache an ihm zu vollziehen drohet, und wirklich vollziehen würde, wenn er sich eben unter ihren Händen befände: ist eben dieses Ideal, nur in dem Stande einer gewaltsamen Handlung, in welchem es an Ausdruck und Kraft gewinnet, was es an Schönheit und Rührung verloren hat. Aber Merope, die sich zu dieser Rache Zeit nimmt, Anstalten dazu vorkehret, Feierlichkeiten dazu anordnet, und selbst die Henkerin sein, nicht töten sondern martern, nicht strafen sondern ihre Augen an der Strafe weiden will: ist das auch noch eine Mutter? Freilich wohl; aber eine Mutter, wie wir sie uns unter den Kannibalinnen denken; eine Mutter, wie es jede Bärin ist. – Diese Handlung der Merope gefalle wem da will; mir sage er es nur nicht, daß sie ihm gefällt, wenn ich ihn nicht eben so sehr verachten, als verabscheuen soll.
Vielleicht dürfte der Herr von Voltaire auch dieses
Weitere Kostenlose Bücher