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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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der Klasse bei den Jesuiten gekommen, den Terenz viel wieder gelesen habe. Er spricht ganz so davon, als von einem alten Traume; es schwebt ihm nur noch so was davon im Gedächtnisse; und das schreibt er auf gut Glück so hin, unbekümmert, ob es gehauen oder gestochen ist. Ich will ihm nicht aufmutzen, was er von der Pamphila des Stücks sagt, »daß sie bloß auf dem Theater erscheine, um nieder zu kommen.« Sie erscheinet gar nicht auf dem Theater; sie kömmt nicht auf dem Theater nieder; man vernimmt bloß ihre Stimme aus dem Hause; und warum sie eigentlich die interessanteste Rolle spielen müßte, das läßt sich auch gar nicht absehen. Den Griechen und Römern war nicht alles interessant, was es den Franzosen ist. Ein gutes Mädchen, das mit ihrem Liebhaber zu tief in das Wasser gegangen, und Gefahr läuft, von ihm verlassen zu werden, war zu einer Hauptrolle ehedem sehr ungeschickt. –
    Der eigentliche und grobe Fehler, den der Herr von Voltaire macht, betrifft die Entwicklung und den Charakter des Demea. Demea ist der mürrische strenge Vater, und dieser soll seinen Charakter auf einmal völlig verändern. Das ist, mit Erlaubnis des Herrn von Voltaire, nicht wahr. Demea behauptet seinen Charakter bis ans Ende. Donatus sagt: Servatur autem per totam fabulam mitis Micio, saevus Demea, Leno avarus u.s.w. Was geht mich Donatus an? dürfte der Herr von Voltaire sagen. Nach Belieben; wenn wir Deutsche nur glauben dürfen, daß Donatus den Terenz fleißiger gelesen und besser verstanden, als Voltaire. Doch es ist ja von keinem verlornen Stücke die Rede; es ist noch da; man lese selbst.
    Nachdem Micio den Demea durch die triftigsten Vorstellungen zu besänftigen gesucht, bittet er ihn, wenigstens auf heute sich seines Ärgernisses zu entschlagen, wenigstens heute lustig zu sein. Endlich bringt er ihn auch so weit; heute will Demea alles gut sein lassen; aber morgen, bei früher Tageszeit, muß der Sohn wieder mit ihm aufs Land; da will er ihn nicht gelinder halten, da will er es wieder mit ihm anfangen, wo er es heute gelassen hat; die Sängerin, die diesem der Vetter gekauft, will er zwar mitnehmen, denn es ist doch immer eine Sklavin mehr, und eine, die ihm nichts kostet; aber zu singen wird sie nicht viel bekommen, sie soll kochen und backen. In der darauf folgenden vierten Szene des fünften Akts, wo Demea allein ist, scheint es zwar, wenn man seine Worte nur so obenhin nimmt, als ob er völlig von seiner alten Denkungsart abgehen, und nach den Grundsätzen des Micio zu handeln anfangen wolle. (112) Doch die Folge zeigt es, daß man alles das nur von dem heutigen Zwange, den er sich antun soll, verstehen muß. Denn auch diesen Zwang weiß er hernach so zu nutzen, daß er zu der förmlichsten hämischsten Verspottung seines gefälligen Bruders ausschlägt. Er stellt sich lustig, um die andern wahre Ausschweifungen und Tollheiten begehen zu lassen; er macht in dem verbindlichsten Tone die bittersten Vorwürfe; er wird nicht freigebig, sondern er spielt den Verschwender; und wohl zu merken, weder von dem Seinigen, noch in einer andern Absicht, als um alles, was er Verschwenden nennt, lächerlich zu machen. Dieses erhellet unwidersprechlich aus dem, was er dem Micio antwortet, der sich durch den Anschein betriegen läßt, und ihn wirklich verändert glaubt. (113) Hic ostendit Terentius, sagt Donatus, magis Demeam simulasse mutatos mores, quam mutavisse.
    Ich will aber nicht hoffen, daß der Herr von Voltaire meinet, selbst diese Verstellung laufe wider den Charakter des Demea, der vorher nichts als geschmählt und gepoltert habe: denn eine solche Verstellung erfodere mehr Gelassenheit und Kälte, als man dem Demea zutrauen dürfe. Auch hierin ist Terenz ohne Tadel, und er hat alles so vortrefflich motivieret, bei jedem Schritte Natur und Wahrheit so genau beobachtet, bei dem geringsten Übergange so feine Schattierungen in Acht genommen, daß man nicht aufhören kann, ihn zu bewundern.
    Nur ist öfters, um hinter alle Feinheiten des Terenz zu kommen, die Gabe sehr nötig, sich das Spiel des Akteurs dabei zu denken; denn dieses schrieben die alten Dichter nicht bei. Die Deklamation hatte ihren eignen Künstler, und in dem Übrigen konnten sie sich ohne Zweifel auf die Einsicht der Spieler verlassen, die aus ihrem Geschäfte ein sehr ernstliches Studium machten. Nicht selten befanden sich unter diesen die Dichter selbst; sie sagten, wie sie es haben wollten; und da sie ihre Stücke überhaupt nicht eher bekannt

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