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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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werden ließen, als bis sie gespielt waren, als bis man sie gesehen und gehört hatte: so konnten sie es um so mehr überhoben sein, den geschriebenen Dialog durch Einschiebsel zu unterbrechen, in welchen sich der beschreibende Dichter gewissermaßen mit unter die handelnden Personen zu mischen scheinet. Wenn man sich aber einbildet, daß die alten Dichter, um sich diese Einschiebsel zu ersparen, in den Reden selbst, jede Bewegung, jede Gebärde, jede Miene, jede besondere Abänderung der Stimme, die dabei zu beobachten, mit anzudeuten gesucht: so irret man sich. In dem Terenz allein kommen unzählige Stellen vor, in welchen von einer solchen Andeutung sich nicht die geringste Spur zeiget, und wo gleichwohl der wahre Verstand nur durch die Erratung der wahren Aktion kann getroffen werden; ja in vielen scheinen die Worte gerade das Gegenteil von dem zu sagen, was der Schauspieler durch jene ausdrücken muß.
    Selbst in der Szene, in welcher die vermeinte Sinnesänderung des Demea vorgeht, finden sich dergleichen Stellen, die ich anführen will, weil auf ihnen gewissermaßen die Mißdeutung beruhet, die ich bestreite. – Demea weiß nunmehr alles, er hat es mit seinen eignen Augen gesehen, daß es sein ehrbarer frommer Sohn ist, für den die Sängerin entführet worden, und stürzt mit dem unbändigsten Geschrei heraus. Er klagt es dem Himmel und der Erde und dem Meere; und eben bekömmt er den Micio zu Gesicht.
    Demea
. Ha! da ist er, der mir sie beide verdirbt – meine Söhne, mir sie beide zu Grunde richtet! –
    Micio
. O so mäßige dich, und komm wieder zu dir!
    Demea
. Gut, ich mäßige mich, ich bin bei mir, es soll mir kein hartes Wort entfahren. Laß uns bloß bei der Sache bleiben. Sind wir nicht eins geworden, warest du es nicht selbst, der es zuerst auf die Bahn brachte, daß sich ein jeder nur um den seinen bekümmern sollte? Antworte. (114)
    u.s.w.
    Wer sich hier nur an die Worte hält, und kein so richtiger Beobachter ist, als es der Dichter war, kann leicht glauben, daß Demea viel zu geschwind austobe, viel zu geschwind diesen gelassenern Ton anstimme. Nach einiger Überlegung wird ihm zwar vielleicht beifallen, daß jeder Affekt, wenn er aufs äußerste gekommen, notwendig wieder sinken müsse; daß Demea, auf den Verweis seines Bruders, sich des ungestümen Jachzorns nicht anders als schämen könne: das alles ist auch ganz gut, aber es ist doch noch nicht das rechte. Dieses lasse er sich also vom Donatus lehren, der hier zwei vortreffliche Anmerkungen hat. Videtur, sagt er, paulo citius destomachatus, quam res etiam incertae poscebant. Sed et hoc morale: nam juste irati, omissa saevitia ad ratiocinationes saepe festinant. Wenn der Zornige ganz offenbar Recht zu haben glaubt, wenn er sich einbildet, daß sich gegen seine Beschwerden durchaus nichts einwenden lasse: so wird er sich bei dem Schelten gerade am wenigsten aufhalten, sondern zu den Beweisen eilen, um seinen Gegner durch eine so sonnenklare Überzeugung zu demütigen. Doch da er über die Wallungen seines kochenden Geblüts nicht so unmittelbar gebieten kann, da der Zorn, der überführen will, doch noch immer Zorn bleibt: so macht Donatus die zweite Anmerkung; non quid dicatur, sed quo gestu dicatur, specta: et videbis neque adhuc repressisse iracundiam, neque ad se rediisse Demeam. Demea sagt zwar, ich mäßige mich, ich bin wieder bei mir: aber Gesicht und Gebärde und Stimme verraten genugsam, daß er sich noch nicht gemäßiget hat, daß er noch nicht wieder bei sich ist. Er bestürmt den Micio mit einer Frage über die andere, und Micio hat alle seine Kälte und gute Laune nötig, um nur zum Worte zu kommen.
    { ‡ }
Zwei und siebzigstes Stück
    Den 8ten Januar, 1768
    Als er endlich dazu kömmt, wird Demea zwar eingetrieben, aber im geringsten nicht überzeugt. Aller Vorwand, über die Lebensart seiner Kinder, unwillig zu sein, ist ihm benommen: und doch fängt er wieder von vorne an, zu nerrgeln. Micio muß auch nur abbrechen, und sich begnügen, daß ihm die mürrische Laune, die er nicht ändern kann, wenigstens auf heute Frieden lassen will. Die Wendungen, die ihn Terenz dabei nehmen läßt, sind meisterhaft. (115)
    Demea
. Nun gib nur Acht, Micio, wie wir mit diesen schönen Grundsätzen, mit dieser deiner lieben Nachsicht, am Ende fahren werden.
    Micio
. Schweig doch! Besser, als du glaubest. – Und nun genug davon! Heute schenke dich mir. Komm, kläre dich auf.
    Demea
. Mags doch nur heute sein! Was ich muß, das muß ich.

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