Werke
Gesinnung, der Gedanke, daß der Marquis unter allen denen, die um sie warben, der einzige sei, der das Leben aus dem richtigen Standpunkt betrachte und niemals Ansprüche machen werde, die sie nicht erfüllen könne, ja selbst der Umstand, daß es ihm nie eingekommen, den feurigen Liebhaber zu machen, daß er stets kalt und trocken geblieben, bestimmte Franziskas Wahl und machte den von Gläubigern verfolgten Marquis zum Herrn des Ritterguts Nerbonne.
So sehr man Ursache hatte, zu glauben, daß ein böses Mißverhältnis sich gleich in dieser Ehe offenbaren werde, so mußte man sich doch vom Gegenteil überzeugen.
Der Marquis, umstrahlt von dem Glanze der Liebenswürdigkeit seiner Gattin, schien ganz ein anderer. Das Eis, zu dem sein Inneres erstarrt, schien aufgetaut, und trotz alles Sträubens mußte man zuletzt gestehen, der Marquis de la Pivardiere sei ein ganz angenehmer Mann, mit dem die Marquise, bleibe sie ihren Grundsätzen treu, wohl glücklich sein könne.
Der Marquis begab sich mit seiner Gattin, nachdem er einige Monate in Paris gelebt, nach dem Rittergute Nerbonne, und beide führten in der Tat ein ruhiges, glückliches Leben, will man eine völlige Gleichgültigkeit gegeneinander, die gar keine Ansprüche zuläßt, dafür annehmen. Diese Stimmung änderte sich auch nicht im mindesten, als die Marquise dem Gatten eine Tochter gebar.
Mehrere Jahre waren vergangen, als der ausbrechende Krieg (1688) den Aufruf des sogenannten Arrièrebans veranlaßte, so daß der Marquis im Dienste dieses Arrièrebans von Zeit zu Zeit vom Schlosse Nerbonne sich zu entfernen genötigt ward.
Mag es sein, daß dieser Dienst ihm zu lästig war, mag es sein, daß er sich hinwegsehnte aus dem einförmigen Leben, und daß selbst das Verhältnis mit der Marquise ihm langweilig, verdrießlich geworden; genug, er suchte Dienste in der Armee, es gelang ihm, eine Eskadron in dem Dragonerregiment des Grafen Saint Hermine zu erhalten, und er blieb so vom Hause ganz entfernt. –
Eine Viertelstunde von dem Schlosse Nerbonne war die Abtei zu Miseray gelegen, welche regulierte Augustiner im Besitz hatten. Einer dieser Geistlichen verwaltete zugleich die Kapelle im Schlosse Nerbonne, welcher Dienst ihn verpflichtete, jeden Sonnabend in der Kapelle Messe zu lesen. Dieser Geistliche war denn auch altem Herkommen nach der Beichtvater der Herrschaft zu Nerbonne. So geschah es denn, daß die Marquise, statt in der Kirche zu Jeu, der eigentlichen Parochialkirche von Nerbonne, in der Kirche der Abtei Messe zu hören und zu beichten pflegte.
Da die Abtei nur eine Viertelstunde von dem Schlosse entfernt lag, so machte die Marquise den Weg dahin gewöhnlich zu Fuß.
Eines Morgens an einem Heiligentage, als die Marquise sich gerade in dem Garten des Schlosses befand, tönten die Glocken der Abtei dumpf und feierlich herüber. Die Marquise fühlte sich von einer Wehmut durchdrungen, die ihr lange fremd geblieben. Es war, als stiege die Vergangenheit vor ihr auf wie ein Traumbild, und manche liebe Gestalt, mancher schnell entflohene Moment mahne sie daran, daß sie das Leben nicht zu erfassen vermocht, als es noch grün und blühend sie umgab. Ein seltsamer Schmerz, den sie selbst nicht verstand, beengte ihre Brust, und unwillkürlich rannen ihre Tränen. In der Andacht glaubte sie Erleichterung der Qual zu finden, die ihr Inneres zerriß. Sie begab sich nach der Abtei, und während des Hochamts, das soeben begann, näherte sie sich, von unbekannter, unwiderstehlicher Gewalt getrieben, dem Beichtstuhl, den der Kapellan des Schlosses Nerbonne einzunehmen pflegte.
Als nun aber der Priester die Absolution sprach, bebte sie zusammen vor seiner Stimme, und der Ohnmacht nahe, wankte sie fort, als sie durch das Gitter das totenbleiche Antlitz des Geistlichen erblickte, aus dessen düstern Augen ein Feuerstrahl sie durchfuhr.
»Nein, es war kein Mensch, es war ein Geist, aus grauenvoller Tiefe heraufgebannt, mich, mein Leben zu zerstören!« – So sprach die Marquise, als sie ganz erschöpft auf ihr Schloß zurückgekommen. Aber von tiefem Entsetzen wurde sie erfaßt, als sie sich deutlich erinnerte, dem gespenstischen Priester gebeichtet zu haben, daß sie einst in früher Jugend, wiewohl schuldlos, einen Jüngling ermordet, dann aber Untreue an ihrem Gemahl verübt; Verbrechen, von denen auch nie die Ahnung in ihre Seele gekommen. Ebenso erinnerte sie sich, daß, als sie den Mord gebeichtet, der Geistliche einen seltsamen, herzzerschneidenden Laut
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