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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.T.A. Hoffmann
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des Jammers von sich gegeben, bei der Absolution aber gesagt habe, daß der Himmel ihr den Mord längst verziehen, daß aber, was die an ihrem Gemahl verübte Untreue betreffe, aufrichtige Reue und strenge Buße zwar die Tat sühnen könne, daß sie aber dafür die weltliche Rache des Gesetzes treffen werde. – Das ganze geheimnisvolle Ereignis erschien ihr wie der fürchterliche angstvolle Traum einer Wahnsinnigen; sie schickte nach der Abtei, sie wollte wissen, wer an jenem Morgen statt des Kapellans Beichte gehört.
    Man benachrichtigte sie, daß der Kapellan nach einem Krankenlager von zwei Tagen soeben verschieden sei; daß aber derselbe Geistliche, der am Morgen Beichte gehört, indessen den Dienst der Kapelle im Schloß Nerbonne verwalten und den nächsten Sonnabend Messe lesen werde. »Ist es möglich,« sprach die Marquise zu sich selbst, »daß eine aufgeregte Stimmung, ich möchte sagen, der Anfall eines die Nerven erschütternden Krampfs solche Torheiten erzeugen kann? Mein Gespenst verkörpert sich; ich werde es schauen und – mich meiner Albernheit schämen.« – Als am Sonnabend in der Frühe der Geistliche, der den Dienst des Kapellans verwalten sollte, in das Zimmer der Marquise trat, als er sie, sich sanft neigend, mit einem »Gelobt sei Jesus Christus!« begrüßte, da starrte sie ihn an, sank dann nieder zu seinen Füßen und schrie ganz außer sich: »Weh mir! – ja, du bist es, du bist der Jüngling, den ich in früher Jugend ermordet.«
    »Faßt Euch, Frau Marquise,« sprach der Geistliche ruhig, indem er die Marquise aufhob und zum Lehnstuhl führte, »ich bitte Euch, überwindet den Schmerz, der – ach, vielleicht nur zu tötend Eure Brust zerreißt, da keine Reue das ersetzt, was unwiederbringlich verloren!« –
    »Haltet,« begann die Marquise mit bebender Stimme, »haltet mich nicht für wahnsinnig, ehrwürdiger Herr! – Euer bleiches Antlitz, Euer ergrautes Haar – und doch seid Ihr es, ja, Ihr seid der Jüngling, den ich einst bei der Duchesse d’Aiguillon erblickte, der in meiner Brust alles tötende Entzücken, alle brünstige Qual eines Gefühls erweckte, das mir ewig fremd bleiben sollte! – Weh mir! – was ist es, das noch jetzt, da ich Euch wiedersehe, mein Inneres zerreißt? – Doch nein! – alles ist Einbildung – Torheit – Ihr könnt nicht jener Jüngling sein – es ist nicht möglich!« –
    »Wohl,« unterbrach der Geistliche die Marquise, »wohl bin ich jener Jüngling, jener unglückliche Charost, den Ihr in Verzweiflung stürztet! – Ich erkannte Euch, als Ihr an den Beichtstuhl tratet; ich verstand das, wozu Ihr Euch in seltsamer Verstörtheit bekanntet, und die Seufzer, die unwillkürlich meiner Brust entflohen, die heißen Tränen, die meinen Augen entströmten, waren der letzte Tribut, den ich dem Andenken an irdisches Weh zollen mußte. Bis dahin hatte ich den Brief aufbewahrt, den Ihr mir schriebt, der mein Herz durchschnitt, mich in trostloses Elend stürzte; ich vernichtete ihn, als ich Euch wiedergesehen, als ich die Überzeugung gewonnen hatte, daß nun die letzte Prüfung vorüber sei.«
    »Wie,« begann die Marquise, »wie? Ihr sprecht von einem Briefe, den Ihr empfingt? – Nie habe ich Euch geschrieben. Ich hatte Euch bei der Duchesse d’Aiguillon gesehen, und es unterblieb ja jede weitere Annäherung – was für Geheimnisse!« –
    »Vielleicht,« erwiderte der Geistliche mit ruhigem Lächeln, »vielleicht verlöschte ein Zeitraum von mehr als zwanzig Jahren mit dem Andenken an die tiefe Kränkung, die mich zur Verzweiflung brachte, auch die Erinnerung der Art, wie sie mir widerfuhr. – Ich hatte noch nicht geliebt; erst als ich das Fräulein von Chauvelin sah, erfaßte mich dies Gefühl mit aller, das ganze Gemüt erschütternden Stärke, die es über einen reizbaren Jüngling zu üben vermag. – Von Wonne und Lust durchbebt, bemerkte ich die Unruhe des Fräuleins, sah, wie ihre Blicke mich in scheuer Liebe suchten und mieden. Ja! – es war kein Zweifel – ich konnte glauben an das höchste Glück meines Lebens! – Die Abreise meines Vaters, des Präsidenten Charost, nach seinem Wohnsitz Chatillon sur Indre, entfernte mich von Paris. Aber wie konnte ich fernbleiben von meiner Liebe? – Mit Mühe erhielt ich von meinem Vater die Erlaubnis, zurückzukehren nach der Hauptstadt. Ich hatte die Wohnung des Fräuleins erforscht; mein erster Gang, da ich angekommen, war dahin, ich hoffte die Geliebte wenigstens am Fenster zu schauen. Welch

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