Werke
das liebe Kind mit einem silbernen, sauber gearbeiteten Teller, auf dem zwei hohe mit edlem Wein gefüllte Gläser standen. Auf einem kleinern Teller lag etwas Backwerk, das so frisch und appetitlich aussah, wie man es in Nürnberg nicht anders findet.
Die Totenblässe des Antlitzes, die verweinten Augen zeugten hinlänglich von dem bittern Kampf in Mathildens Innern. Doch war ihr ganzes Wesen gefaßt, und nur mit mehr Rührung bot sie den lieben Eltern den Morgengruß, indem sie ihre Hände küßte. Der alte Harsdorfer, Mathilden im höchsten jugendlichen Liebreiz vor ihm stehen, mit hängendem Köpfchen, wie ein krankes Täublein die Arme hinunterhängen, mit beiden Händen ein Schnupftuch zusammendrücken sehend, schien in der Tat verlegen, wie er seine Rede beginnen sollte.
»Nun,« sprach er mit bitterm Ernst, »nun weiß man doch in dem guten Nürnberg, wen der wilde Raphael zu seiner Liebsten erkoren. Sollen bald die Brautjungfern den Kranz flechten?« »Ach, Vater!« erwiderte Mathilde, »verletzt nicht noch dies wunde, blutende Herz durch bittere Reden, die wie scharfe Stacheln nur zu tief eindringen. Der gestrige Auftritt hat mein ganzes inneres Wesen empört, alle jungfräuliche Scham mir aufgeregt. Es ist, als könne ich mein Zimmer nicht mehr verlassen, nicht mehr über die Straße gehn, als müßte ich mich im tiefsten Winkel verbergen, um nur nicht den höhnenden Spott auf den Gesichtern der Jungfrauen und Frauen zu sehen. Aber, Vater, warum mir die Vorwürfe, bin ich denn schuld an der Verirrung des Jünglings?«
»Mathilde,« sprach Herr Harsdorfer weiter, »der roheste, in Liebe befangene Jüngling wird es kaum wagen, wenigstens unter solchen Umständen, wie sie sich gestern auf der Hallerwiese gestalteten, einer Jungfrau auf die Art in den Weg zu treten, wenn er in ihrem Betragen nicht irgendeinen Anlaß, irgendeine Entschuldigung fand. Mathilde, du bist in Liebe zu dem unbesonnenen Jüngling, und nur zu leichtsinnig wirst du ihm schon längst die innere Stimmung verraten haben.«
»O Gott!« rief Mathilde schluchzend, indem sie die schönen Augen, die voller Tränen standen, gen Himmel erhob, wie eine zu der ewigen Macht des Himmels flehende Heilige. »Armes Kind,« lispelte Frau Emerentia für sich, indem sie etwas Wein zu sich nahm, in den ihre Tränen tröpfelten. Herr Harsdorfer, als ein fester Mann seine Fassung erhaltend, sprach nun mit mildem Ernst und einem Ton, dessen halbunterdrückte Wehmut die höchste Zärtlichkeit für das liebe Kind sowie den unsäglichen Schmerz aussprach, den er in diesem Augenblick erlitt:
»Mein teures geliebtes Kind Mathilde, sehr würdest du irren, wenn du glauben solltest, daß deine so schnell erglühte Liebe zu dem wilden Raphael mich in Zorn versetzt hat. Raphael ist ein geistreicher Mensch, dessen Kunsttalent groß und ungewöhnlich zu nennen. Schon jetzt setzen seine Skizzen jedermann in Erstaunen, und Dürers Ausspruch, daß der Jüngling auf jeden Fall ein großer, vielleicht der größte Maler seines Zeitalters werden würde, kann und wird sich bewähren. Du kennst mich, mein teures Kind, und weißt daher, daß dies Talent das schönste Adelsdiplom ist, womit ich meinen Eidam bekleidet wünsche; bürgerliche Verhältnisse würden also deiner Liebe niemals ein Hindernis sein. Doch hier handelt es sich von etwas Wichtigerem.
Mathilde, du stehst an einem Abgrunde, ohne es zu ahnen. Der arglistige Verführer der Menschen selbst streckt seine Krallen nach dir aus und sucht dich zu verderben. Mathilde, sammle deinen Sinn und gib väterlichen Ermahnungen Gehör, die dich auf den rechten Weg zurückbringen werden. So wie Raphael sich dir bis jetzt in der Ferne und – vielleicht auch näher –« Die letzten Worte sprach Herr Harsdorfer mit Nachdruck, indem er einen scharfen Blick auf Mathilden heftete, so daß Mathilde, ganz Purpur, die Augen niederschlug, das Sacktuch wacker zwischen den kleinen Händchen zerknillte.
»Also,« fuhr Herr Harsdorfer, der einen Augenblick innegehalten, ernster und strenger fort, »also und auch näher zeigte – konntest du unmöglich jene bedrohlichen Untiefen seines Wesens gewahren, die den gewissen Untergang jedem Weibe bereiten, das sich ihm ergibt, und ihn selbst zuletzt verderben werden. Seine Leidenschaftlichkeit überschreitet alle Grenzen der Vernunft, sein Jähzorn scheut kein Verbrechen. – Wollt’ er nicht noch gestern den Freund meuchlings ermorden, und lag es an ihm, daß der Mord nicht wirklich
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